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Die Närrin hat abgedrückt – Eine Inszenierung nach „Im Krebsgang“ von Günter Grass, kommentiert von Ewa Walas

Ende des Zweiten Weltkrieges. Polen wird von der deutschen Besatzung befreit. Klirrender Frost. Aus dem Hafen in Gdingen läuft die Wilhelm Gustloff aus. Die Geschichte dieser Schifffahrt sollte von sowjetischen Torpedos versenkt werden. Fast 10.000 der fliehenden Danziger Bewohner kamen um. Das war der verlustreichste Schiffsuntergang der Weltgeschichte bezogen auf ein einzelnes Schiff.

Am 5. Februar 2013 strahlte TVP Kultura eine Inszenierung nach Günter Grass’ Novelle Im Krebsgang aus, in der Grass die Geschichte dieser tragischen Schifffahrt thematisiert.

Das Stück war vom Teatr Miejski (Stadttheater) in Gdynia aufgeführt worden. Regisseur Krzysztof Babicki gesteht, dass er sich für dieses Projekt mit „einem Roman auseinandersetzen musste, der nach dem ersten Lesen den Eindruck hinterließ, er sei nicht möglich, ihn auf die Bühne zu bringen“. Großartige Arbeit hat hier Paweł Huelle geleistet, der Im Krebsgang nicht nur bearbeitet, sondern auch Motive aus anderen Romanen von Günter Grass eingearbeitet hat, beispielsweise aus Hundejahre.

Dank dieser Eingriffe ist auf der Bühne (interessanterweise bildet das Bühnenbild das Deck des Schiffes „Dar Pomorza“, das im Hafen von Gdynia liegt) die komplette Geschichte der Tulla Pokriefke zu sehen, die als eine der wenigen die Schiffskatastrophe überlebt. Sie wird in zwei Phasen ihres Lebens gezeigt, vor und nach dem für sie tragischen Jahr 1945. Die junge und sexuell attraktive Tulla wird von Agata Moszumańska gespielt, die die in den Führer vernarrte Schaffnerin von Danziger Straßenbahnen porträtiert, indem sie den deutschen Akzent imitiert. Auf der anderen Seite stellt sie einen Menschen dar, der vom Schicksal gezeichnet ist, seinen geliebten Bruder verloren hat, nicht zurechtkommt mit der Familientragödie und mit dem Hund Harras in dessen Hütte haust.

Retrospektiven zeigen dem Zuschauer nicht nur Tullas Geschichte, sondern auch die Hintergründe der Benennung des Schiffes, seine strahlende Vergangenheit, in der es für Luxus stand, und beinahe alle Deutschen davon träumten, einmal mit diesem Schiff zu fahren.

In der Rolle der Tulla nach 1945 überzeugt Dorota Lulka. Ihr Spiel ist das stärkste, obwohl die Figur bei den Zuschauern nicht unbedingt Sympathie weckt. Gezeigt wird eine Frau, die von der Vergangenheit besessen ist, vergiftet mit Hitlers Weltanschauung, die sich nicht damit abfinden kann, dass ihr geliebtes Schiff untergegangen ist. Sie hasst ihren Sohn Paul, einen Journalisten, der nie über ihre Tragödie geschrieben hat. Der Sohn selbst hingegen ist der Meinung, dass seine Mutter „zweifellos närrisch ist“.

Doch Tullas Geschichte ist 1945 gar nicht abgeschlossen. Zwar hat sie es nicht geschafft, ihren Sohn mit der blinden Faszination für das Schiff und für alles, was mit ihm verbunden ist, anzustecken, im Falle ihres Enkels Konny ist ihr das allerdings gelungen.

Konny sitzt beinahe die gesamte Vorstellung hindurch in einer statischen Pose am Tisch, dennoch ist es Maciej Wizner gelungen, eine sehr abwechslungsreiche Figur aufzubauen. Diese Figur ist mit Nazislogans regelrecht durchtränkt und führt nur scheinbar einen Dialog mit ihrem „Freund“ David aus dem Internet. Es verbindet sie die Faszination für die Gustloff. Alles andere unterscheidet sie voneinander. Konny nennt David einen „jüdischen Nörgler“. David bleibt ihm nichts schuldig und revanchiert sich mit „Faschistenschwein“. Die Gespräche über das Schiff enden mit ideologischen Streits. Die beiden sind ein lebendes Beispiel für das, was passiert, wenn es keinen Dialog gibt und man sich hinter den eigenen und ‚einzig richtigen’ Ansichten verschanzt.

Konnys Vater (in dieser Rolle der recht vorhersehbare und korrekte Dariusz Szymaniak) versteht nicht wirklich, warum sein Sohn beschließt, sich mit seinem Internetfreund zu treffen. Natürlich nimmt sein Besuch kein gutes Ende.

„Ich habe geschossen, weil ich Deutscher bin.“ Davids Tod bewegt Konny nicht, nicht einmal als sich herausstellt, dass David nicht Jude sondern Deutscher war. Er hält sein Vorgehen für richtig und ist froh, dass er in der nationalistischen Organisation, der er angehört, respektiert wird.

Die Inszenierung, die den Eindruck macht, sie wolle die Geschichte der Wilhelm Gustloff näher bringen, wird zu einer Diskussionsplattform. Ist es wirklich so, dass das „nie aufhört“, wie Konnys Vater die Ereignisse zusammenfasst? Sind unter den jungen Menschen noch immer so viele Stereotype und verhängnisvolle Faszinationen für die nationalsozialistische Ideologie vorhanden? Wird uns eines Tages klar werden, wie wichtig die Rolle von Eltern und Großeltern bei der Vermittlung von Geschichte und ihrer Interpretation ist?

Babicki hat sich eines schwierigen, unbequemen und wichtigen Themas angenommen. Er rechtfertigt niemanden, er nimmt niemanden in Schutz. Er rät lediglich dezent davon ab, Gespräche auf dem Deck eines untergehenden Schiffes zu führen.

Ewa Walas