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„Werden sich die Deutschen von der Populismuswelle mitreißen lassen?“

Werden sich die Deutschen von der Populismuswelle mitreißen lassen?“ Ein Bericht über das Gespräch zum Thema „Die Deutschen und die deutsch-polnischen Beziehungen vor den Wahlen“.

Nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden und den Präsidentschaftswahlen in Frankreich richten sich alle Augen auf Deutschland, wo 2017 die Bundestagswahlen stattfinden. Welche Partei wird gewinnen? Die CDU unter der Führung von Angela Merkel oder die SPD mit Martin Schulz an der Spitze? Welches Ergebnis wird die rechtsgerichtete AfD erzielen? Und – das ist die aus polnischer Perspektive wichtigste Frage – wie wird das Wahlergebnis die deutsch-polnischen Beziehungen beeinflussen? Der Gesandte des Deutschen Botschafters in Warschau, Manfred Huterer, versuchte, während eines Gesprächs, das vom „Polsko-Niemieckie Forum Akademickie“ (Deutsch-Polnisches Akademisches Forum) organisiert wurde und am 10. Mai in der International Warsaw School of Economics stattfand, diese Fragen zu beantworten.

Das Ergebnis der Bundestagswahlen in Deutschland hat eine enorme Bedeutung nicht nur in nationaler Hinsicht. Nach dem Brexit, und nach dem Wahlsieg von Trump könnte ein Sieg der CDU ein Zeichen dafür sein, dass Europa und die Welt in ihr altes, liberales und proeuropäisches Fahrwasser zurückkehren. Die polnische Seite wurde bei dem Gespräch von Sebastian Płóciennik vom Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten vertreten. Er war der Meinung, die deutschen Wähler seien unerwartet vorhersehbar, weshalb keine Überraschungen, wie beispielsweise die Wahl von Schulz, zu erwarten seien. Trotz der „Vorhersehbarkeit“ der deutschen Wähler steige auch unter ihnen die Beliebtheit populistischer Parteien. Ein Beispiel dafür sei die wachsende Popularität der rechtsgerichteten Partei AfD (Alternative für Deutschland). Der Special Guest der Diskussion, Manfred Huterer, prognostizierte, dass die AfD in den kommenden Wahlen 10-15 Prozent erreichen könnte. Nicht nur aus diesem Grunde werden diese Wahlen für Deutschland und Europa wichtig sein, sondern angesichts der Krise der Europäischen Union kann das Wahlergebnis die zukünftige Gestalt des Kontinents beeinflussen.

Die Europäische Union auf Friedenswacht

Manfred Huterer sprach immer wieder die Bedeutung der Europäischen Union für die Erhaltung des Weltfriedens an. Die EU sei die rechtliche Lösung für das Schaffen und die Erhaltung der internationalen Ordnung, sie repräsentiere eine liberale Ordnung in Opposition zu Ländern wie Putins Russland und Trumps Vereinigte Staaten. Die EU stehe vor zahlreichen Herausforderungen, eine von ihnen sei die schwierige politische Situation in der Ukraine. Laut Huterer kann die EU der Ukraine helfen, indem sie in deren Entwicklung investiert. Eine weitere, nicht weniger wichtige Herausforderung sei die Einflussnahme auf Russland, damit dieses seine aggressive Politik gegenüber der Ukraine beendet. Dies könne erreicht werden durch die Öffnung von Kanälen des Dialoges mit Russland und durch die Erhaltung solcher Kanäle. Natürlich sei die EU nicht die einzige Organisation, die auf Friedenswacht stehe, die NATO und die UNO erfüllten eine ähnliche Rolle. Doch die EU habe zusätzliche Aufgaben, von denen die wichtigste ist, Europa zu einen. Bei der Zusammenfassung des Diskussionsteils, der die EU betraf, sagte Manfred Huterer, die Europäische Union sei ein kompliziertes Projekt, das viele Bemühungen der Mitgliedsstaaten erfordere, doch dank dieser Bemühungen könne man die Interessen der europäischen Staaten miteinander vereinbaren und Europa Frieden und seinen Bürgern Wohlstand garantieren.

Deutschland für Polen, Polen für Deutsche

Welcher Sieg wäre für Polen vorteilhafter: Angela Merkels oder Martin Schulz‘? Manfred Huterer sagte, es sei schwierig, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Seiner Meinung nach müsse hervorgehoben werden, dass die Kontakte zwischen Deutschland und Polen zu den wichtigsten in der Außenpolitik Deutschlands gehören. Für Polen habe der westliche Nachbar ebenfalls enorme Bedeutung, denn Deutschland sei seit vielen Jahren durchgehend der wichtigste Absatzmarkt für Polen. Die deutsch-polnischen Beziehungen seien aber nicht nur aus ökonomischen Gründen von Bedeutung, ebenso wichtig seien die Kontakte zwischen den Bürgern beider Länder, der Studentenaustausch und sich für die Erhaltung der guten deutsch-polnischen Kontakte einzusetzen, was viele herausragende Persönlichkeiten wie beispielsweise Władysław Bartoszewski und Tadeusz Mazowiecki gezeigt haben.

Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Ein Thema, dass in der Diskussion nicht fehlen durfte, war „ein Europa der zwei Geschwindigkeiten“. Für Polen und andere Länder, die nicht zur Euro-Zone gehören, ist dies ein recht heikles Thema, weil diese Staaten fürchten, dass sie hinter den besser entwickelten EU-Ländern „zurückbleiben“. Manfred Huterer wies darauf hin, dass der Begriff „ein Europa der zwei Geschwindigkeiten“ in Deutschland anders verstanden werde als in Polen. Im deutschen Verständnis seien die Länder „der ersten Geschwindigkeit“ diejenigen, die in der Lage sind, sich stärker für die europäische Integration einzusetzen als die Länder „der zweiten Geschwindigkeit“. Eine differenzierte Integration sei eine rationale Lösung für die Europäische Union.

Wird Europa immer „ein Europa der zwei Geschwindigkeiten“ bleiben? Werden die Europäische Union und die liberale Ordnung die populistische Welle, die seit einigen Jahren zu beobachten ist, überstehen? Die Diskussionsteilnehmer waren der Meinung, dass die Antworten auf diese Fragen in hohem Maße von dem Ergebnis der diesjährigen Bundestagswahlen abhängen werden.

Aneta Tymińska