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Dazu gehörte Mut!

Interview mit Albrecht Lempp über 20 Jahre Wende in Deutschland und Polen, den Film "Tschüss DDR!" und den neuen Herausforderungen für die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.

Wissen Sie noch, wo Sie am 9. November 1989 waren?

A.L.: Ja, ich war zu Hause in Darmstadt. Das war ja damals eine ganze Kette von Ereignissen, ständig war man irgendwo mit umwälzenden Ereignissen konfrontiert und saß deshalb eigentlich dauernd vor dem Fernsehgerät. Es gibt Bilder, die haben sich stark eingeprägt, wie z.B. die Jagd auf Ceauşescu und das Standgericht an ihm. Man hat aber sehr schnell gemerkt, dass nach dem Feuerwerk der Ereignisse der Moment kommt, wenn es gilt, konkrete Probleme zu lösen. Heute kann man sich vielleicht ein bisschen ruhiger und aus der Distanz fragen, ob sie immer richtig gelöst wurden.

Geschichten neu erzählen, wieder erzählen, aber vielleicht auch neue Geschichten finden. Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit leistet mit dem Film "Tschüss DDR!" Über Warschau in die Freiheit"  ein interessantes Projekt zu `89. Was gibt es denn da noch zu erzählen?

A.L.: Wir alle erinnern uns an Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag. Daneben gibt es andere Geschichten, die weniger in Erinnerung geblieben sind. Dazu gehört was mit den DDR-Flüchtlingen im Herbst 1989 geschehen ist, die über Polen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Diese Ereignisse wird die SdpZ jetzt durch ein Filmprojekt in Erinnerung rufen. Es geht darum, dass damals 6.000 Menschen aus Ostdeutschland nach Polen, also nach Osten geflüchtet sind. Die polnische Bevölkerung hat ihnen damals geholfen, ihren Weg in die bundesdeutsche Botschaft von Warschau zu finden. Von dort aus sind sie dann in die Freiheit in die Bundesrepublik ausgereist. Das alles geschah zu einer Zeit, es war ja im Herbst 1989, als die demokratisch legitimierte Regierung unter Tadeusz Mazowiecki gerade die Regierung übernommen hatte. Gleichzeitig war die DDR formal gesehen noch ein voll funktionierender Staat. In dieser Situation hat Tadeusz Mazowiecki seine Grenzbeamten angewiesen, wegzuschauen und die deutschen Flüchtlinge unbehelligt durchzulassen. Dazu gehörte Mut. 

Wenn ich an `89 denke, ist da sicherlich als stärkstes Symbol, als stärkste Ikone, natürlich der Fall der Berliner Mauer. Dann vielleicht schon der Runde Tisch in Polen und irgendwo in einer Ecke ist dann doch auch Kohl und Mazowiecki in Kreisau. Bräuchten wir vielleicht eine neue Ikone für `89?

A.L.: Ich weiß nicht, ob wir eine neue Ikone für ´89 brauchen. Die Mauer wird die Ikone für ´89, für die Wende, bleiben. Dass wir unabhängig davon gerade auch im deutsch-polnischen Kontext, positive Bilder bräuchten, Ikonen, die wir assoziieren können, das ist ganz bestimmt richtig. Die gibt es in dem Sinne nicht. Aus heutiger Sicht betrachtet, muss man sagen, die Begegnung Kohl-Mazowiecki 1989 in Kreisau, ihre Umarmung damals, steht symbolisch für einen Neuanfang der deutsch-polnischen Beziehung. Vielleicht gelingt es in diesem großen „Erinnerungsjahr“ das in unserem Gedächtnis besser zu verankern.

Sie haben mal gefordert, Polen müsse vom symbolischen zum wirklichen Partner werden. Würden Sie diese Forderung noch mal wiederholen oder bekräftigen?

A.L.: Die Zeit des Dialogs nach dem Zweiten Weltkrieg war immer auch überlagert von dem Vorwurf, die Beziehungsebene zwischen Deutschen und Polen sei schief, die Polen sozusagen nicht voll in ihrem Wert anerkannt. Heute sollten wir klar sagen: Auf politischer Ebene ist der Prozess der Aussöhnung beider Länder abgeschlossen . Das heißt Rechte und Pflichten sind für alle Beteiligten gleich oder, verkürzt: partnerschaftliches Handeln auf Augenhöhe bedeutet auch den Verzicht auf einen „Opferbonus“. 

Einen langen Weg hat auch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit hinter sich, die ja irgendwo auch ein Kind der Ereignisse des Jahres 1989 ist und jetzt, je nachdem wie man zählt, in diesem Jahr die Volljährigkeit erreicht . Da fragt man sich natürlich, wo geht es hin, was will man noch erreichen?

A.L.: Da ist es vielleicht gut, sich ganz kurz in Erinnerung zu rufen, wie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit entstanden ist und was für Aufgaben damals bestanden. Es war eine direkte Folge der Begegnung von Kohl und Mazowiecki, dass Anfang der 90er eine Lösung gefunden wurde, wie der große sog. „Jumbo-Kredit“ aus der Regierungszeit von Helmut Schmidt zurückgezahlt werden konnte, nämlich über einen gemeinsam von Polen und Deutschen verwalteten Stiftungsfond, in den die polnische Regierung die Raten einzahlte, und der das Geld treuhänderisch für die Bundesrepublik dann in Polen ausgab. Dieses Modell ist beherrschend für die 90er Jahre, da wurden sehr große Projekte in sehr kurzer Zeit verwirklicht. Heute sind wir in einer anderen Situation, der Kredit ist abbezahlt und die Stiftung kann mit ruhigerem Atem auch ein bisschen längerfristig planen. Was an neuen Aufgaben dasteht, ergibt sich zum Teil schon aus der neuen Situation unserer Länder innerhalb Europas. Ganz wichtig ist hier die Frage nach der Bilateralität unserer Arbeit. Steht sie weiterhin im Vordergrund oder ist es unter Umständen auch das gemeinsame Handeln gegenüber Dritten, z.B. durch den Transfer von Erfahrungen über den Aufbau von Gemeindeverwaltungen an dritte Partner? Zusätzlich kann die Stiftung durch ihre operative Arbeit jetzt auch verstärkt Themen besetzen, von denen sie meint, dass sie von besonderer Wichtigkeit sind. Dazu gehört, wir sprechen ja im Kontext der Medientage, auf jeden Fall das weite Feld des Journalismus, der Berichterstattung. Dann der Wissensaustausch, bei dem es auch darauf ankommt, dass Sprache, Sprachvermittlung, Bücher, Artikel usw. zugänglich sind, sodass Sprache, Übersetzung, Germanistik und Polonistik, wenn man es reduzieren will auf diese Bereiche, einer der Schwerpunkte der Stiftungsarbeit sind. Verständnis hat mit Verstehen zu tun und damit mit Sprachkompetenz, mit kultureller Kompetenz, das sind Bereiche, die aus einer sinnvollen Arbeit der Stiftung nicht wegzudenken sind.

Ich glaube, eine neue Überlegung war, jetzt eine Präsenz in Berlin aufzumachen. Also ein Berliner Büro, als eine Überlegung, präsenter in Deutschland zu sein. Warum?

A.L.: Polen ist Mitglied der EU, ist Mitglied im Schengen-Klub und es gibt keinen Grund mehr, sich ausschließlich auf Projektarbeit in Polen zu konzentrieren. Dazu kommt dann noch: Die vermehrte operative Arbeit der Stiftung, also, dass wir selbst Projekte durchführen oder mit betreuen und inhaltlich zu ihrer Füllung beitragen, bringt es mit sich, dass wir auch vor Ort dabei sein und direkt Einfluss nehmen wollen. Ich denke, dass mit den wachsenden Aufgaben, bei denen sich die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit aktiv einbringt, auch die Bedeutung des Büros in Berlin noch wachsen wird. 


Das Gespräch führte Paul-Richard Gromnitza im Herbst 2009