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"Tranzyt. km 2013" Interview mit Martin Pollack zur Leipziger Buchmesse

„Tranzyt. km 2013“ unter diesem Titel stellen Schriftsteller aus Polen, der Ukraine und Belarus auf der Leipziger Buchmesse ihre neuen Bücher vor, diskutieren über brisante Themen in ihren Ländern und knüpfen Kontakte mit der Buchbranche in Deutschland. 2013 kommt das Programm, welches von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, der Robert-Bosch-Stiftung und der Leipziger Buchmesse mit weiteren Partnern veranstaltet wird, in sein zweites Jahr.

2013 km sind es auch von Leipzig bis nach Kiew und dann in die belarussischen Hauptstadt, Minsk. Auf dieser Reise durch die Literaturlandschaften Ostmittel- und Osteuropas führt uns einer seiner besten Kenner, der österreichische Autor und Kulturmittler Martin Pollack. Als Kurator des Literaturschwerpunktes hat der Preisträger  des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung von 2011 eine Auswahl getroffen, die die Vielfalt und Dynamik der Länder widerspiegelt.

Karoline Gil spricht mit Martin Pollack über literarische Neuentdeckungen aus der Ukraine und Belarus, die Bedeutung von Kulturbrücken und die Rolle der polnischen Literatur für das „tranzyt“- Dreigestirn.

Karoline Gil: Bereits zum zweiten Mal ist das Programm „tranzyt“ auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse präsent und setzt damit einen Schwerpunkt auf die Literatur Polens, der Ukraine und Belarus. Neben Podiumsdiskussionen und Lesungen können die Besucher auch Ausstellungen oder Konzerte an verschiedenen Veranstaltungsorten in der Stadt erleben. Was zeichnet „tranzyt“ in diesem Jahr besonders aus? 

Martin Pollack: Wir konnten uns bei den Vorbereitungen auf die Erfahrungen und Kontakte stützen, die wir im ersten Jahr gewonnen haben, das hat unsere Arbeit leichter gemacht. Die Zusammenarbeit mit den Freunden und Partnern in den an „tranzyt“ beteiligten Ländern ist enger geworden – das schlägt sich hoffentlich auch im Programm des heurigen Jahres wieder. Wir haben in diesem Jahr zahlreiche Gespräche und Diskussionen geführt und daraus viel gelernt. „Tranzyt. km 2013“ ist in enger Kooperation mit Autoren und Kulturmanagern aus den involvierten Ländern entstanden, die sich verstärkt eingebracht haben. Viel stärker als beim ersten Programm. Die Literatur- und Kulturszene ist aktiv und engagiert. Das stimmt mich optimistisch.          

Literatur aus Ostmittel- und Osteuropa ist auf der Leipziger Buchmesse traditionell stark vertreten. Bücher von polnischen Autoren wie Andrzej Stasiuk oder Olga Tokarczuk aber auch von ausgewählten ukrainischen Schriftstellern erscheinen in Deutschland bei renommierten deutschen Verlagen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Literatur aus diesen Ländern ihren Platz in den deutschen Bücherregalen gefunden hätte.

Die polnische Literatur hat natürlich eine gute Position im deutschen Sprachraum, dafür haben schon ältere Autoren gesorgt wie etwa Witold Gombrowicz, Stanisław Lem, der heute weitgehend vergessene Stanisław Jerzy Lec aber auch Czesław Miłosz, Ryszard Kapuściński oder Hanna Krall, um nur ein paar Namen zu nennen. Da haben die jüngeren Autoren bereits offene Türen gefunden. Natürlich gibt es auch da noch viel zu tun. Aber die ukrainische oder gar die belarussische Literatur sind in einer ganz anderen, viel schwierigeren Lage: da gibt es riesige weiße Flecken, zahlreiche Namen und Titel, die erst entdeckt, erst übersetzt werden müssen. Vor allem die belarussische Literatur ist nach wie vor eine große Unbekannte in unseren Ländern, das ist eigentlich eine Schande. Immerhin sprechen wir hier von einer europäischen Literatur.

In den letzten Jahren erreichen uns immer häufiger beunruhigende Nachrichten aus Belarus und der Ukraine, was den Einfluss der Politik auf Kultur- und Literaturschaffende anbetrifft. Auch bei „tranzyt“ thematisiert eine Podiumsdiskussion beispielsweise die Zensur. Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten haben die Schriftsteller in Belarus oder der Ukraine zu kämpfen?

Tatsächlich hat sich die politische Situation in den genannten Ländern – Polen kann man in diesem Zusammenhang nicht nennen, Gott sei Dank! – zweifellos verschlechtert, das Klima ist rauer geworden. Autoren und überhaupt Künstler kämpfen mit ganz fundamentalen Problemen: Sie werden daran gehindert, sich frei zu äußern. Ihre Bücher können nicht erscheinen oder verschwinden gleich wieder aus den Buchhandlungen, sie selber werden auf oft brutale Weise unter Druck gesetzt, sie werden bedroht, an der Ausübung ihres Berufes gehindert. Der weißrussische Autor Andrej Chadanowitsch hat seine Heimat ein Land genannt, aus dem alle immer nur schlechte Nachrichten erwarten. Wenn einmal etwas Positives passiere,  dann nehme das keiner zur Kenntnis, weil es dem allgemeinen Bild widerspreche, das sich die Menschen von Belarus machten. Ähnlich düster erscheinen die Aussichten für die Ukraine. Die durch die Orangene Revolution im Jahre 2004 ausgelöste Aufbruchstimmung ist verflogen. Umso wichtiger ist es, dass wir genau hinschauen, was in diesen Ländern vor sich geht – und dass wir den Autoren und Künstlern von dort ein Podium bieten. Wir müssen, auch wenn das abgegriffen klingen mag, Solidarität mit ihnen üben. Und für Autoren bedeutet das in erster Linie, ihre Bücher zu übersetzen, sie einzuladen, ihnen zuzuhören … Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist das Gefühl der Isolation …

Wenn auf politischer Ebene eher Rückschritte bei der Annäherung zur Europäischen Union zu verzeichnen sind, welche Rolle können dann die Literatur- oder Kulturbrücken in die Länder spielen? Haben sie eine Chance auf Erfolg?

Man darf die Rolle der Literatur nicht überschätzen, sie kann keine Aufgaben der Politik übernehmen. Aber sie kann natürlich wichtige Anstöße geben. Und die Literatur kann uns helfen, diese Länder zu verstehen. Vor allem aber kann sie einmal das Interesse für sie wecken. Aber nochmals: die Literatur hat nicht die Aufgabe, politische Manifeste zu verfassen oder journalistische Berichte zu schreiben. Das heißt aber nicht, dass Autoren nicht politisch denken oder auch agieren sollen. Das tun sie ohnehin.

„Tranzyt“ nennt in seinem Titel Polen, Ukraine und Belarus in einem Zug, obgleich die politischen und gesellschaftlichen Situationen in den Ländern verschieden sind. Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union, kaum jemand spricht noch über das Land im Kontext der Transformation nach 1989. In den zwei weiteren Ländern sind die politischen Vorzeichen ganz andere. Warum hat man sich für dieses Konzept entschieden?

Selbstverständlich ist Polen in einer ganz anderen Situation als die anderen beiden Länder. Polen ist heute ein normales europäisches Land, mit Problemen, wie sie andere europäische Länder auch haben, aber im Großen und Ganzen ist es eine Erfolgsgeschichte. Aber Polen ist gleichzeitig für uns eine wichtige Brücke in jene Länder, von Polen aus beobachtet man viel genauer als anderswo, was dort vor sich geht – auch auf dem Gebiet der Literatur. Das hat uns veranlasst, Polen in dieses Konzept einzubeziehen – und die Erfahrung hat uns Recht gegeben. Ohne unsere polnischen Partner und Freunde wäre vieles nicht möglich gewesen, wir haben sehr viel von ihnen gelernt, wofür ich sehr dankbar bin.

Sie beobachten die Entwicklungen der Literaturen in Ostmitteleuropa seit vielen Jahren. Sind ihrer Meinung nach die Leser in Deutschland dem rasanten Wandel der Länder nachgekommen oder erwarten sie eine geradezu stereotype Handhabung und nostalgischen Klischees von der Literatur aus Ostmittel- und Osteuropa?

Tatsächlich gibt es in unseren Köpfen noch viele Stereotypen und Klischees, die jedes Mal abgerufen werden, wenn wir über diese Länder sprechen. Aber es ist ja die Aufgabe der Literatur – und daher auch unsere Aufgabe – dem entgegenzuwirken, die Klischees aufzuweichen, sie ad absurdum zu führen. Und man muss sagen: wer die wunderbaren Bücher von Joanna Bator liest, die Gedichte von Valzhyna Mort, die Geschichten von Maria Matios, um nur drei Namen zu nennen, der läuft keine Gefahr, in diese Klischee-Falle zu tappen. Die Literatur hat die wunderbare Gabe, gegen diese Gefahr zu immunisieren. 

Was wäre für Sie der schönste Erfolg, der sich aus dem „tranzyt“-Programm ergeben würde?

Der schönste Erfolg für mich wäre, wenn wir aufhören könnten zu lamentieren, dass die Situation der ukrainischen und belarussischen Literatur im deutschen Sprachraum so ist wie sie heute ist, nämlich sehr unbefriedigend. Ich bin von Natur aus kein jammriger Mensch, das widerstrebt mir. Es wäre wunderbar, wenn das Interesse, die Neugierde, die wir (hoffentlich) geweckt haben, auch ohne „tranzyt“ weiter wachsen würden. Ganz von selber.

Das gesamte Interview in der März-Ausgabe von "Silesia Nova", der Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Geschichte.

„Tranzyt. km 2013" ist ein Projekt der Leipziger Buchmesse, der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Kooperation mit der Rinat Ahmetov Stiftung "Rozvytok Ukrajiny", dem Lemberger Verlegerforum, dem Goethe-Institut Minsk und dem Polnischen Buchinstitut kuratiert von Martin Pollack.

14.-17. März 2013 auf der Leipziger Buchmesse

www.leipziger-buchmesse.de/tranzyt