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Irena Lipowicz im Interview mit der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur"

Die frühere Solidarność-Aktivistin und jetzige polnische geschäftsführende Direktorin der SdpZ, Irena Lipowicz, spricht im Interview mit der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur"  (Nr. 37, 10.09.2009) über die Vorgeschichte der Wende und die Rolle der Kirche.

Rheinischer Merkur: Der zwanzigste Jahrestag der Wende wird gefeiert. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie diese Feiern als Polin?

Irena Lipowicz: Auf der einen Seite spüre ich große Dankbarkeit für die geschichtliche Entwicklung, aber auch Dankbarkeit, bei der Solidarność dabei gewesen zu sein. In dieser Keimzelle freiheitlichen Denkens hat alles angefangen. Andererseits blickt man als Polin entsprechend irritiert auf Deutschland: Denn die öffentliche Wahrnehmung der Wende beschränkt sich fast nur auf den Mauerfall. Dabei wird leider die zehnjährige Vorgeschichte der Wende, die in Polen ihren Ausgang nahm, gänzlich ausgeblendet.

RM: Sie waren seit der Gründung der Solidarność 1980 aus einer Streikbewegung heraus mit am polnischen Umbruchsprozess beteiligt. Welche Rolle hatten Sie damals?

Lipowicz: Ich stand nicht in erster politischer Reihe, ich gehörte zur Gruppe der intellektuellen Zuarbeiter. In der Zeit, in der die Solidarność verboten war und wir im Untergrund tätig waren, arbeiteten wir etwa in einer kleinen Gruppe, die sich Untergrund-Gesetzgebungsrat nannte, Gesetzestexte für eine Zeit nach einem möglichen Systemwechsel in Polen aus. Als dann Anfang 1989 der Runde Tisch aus Regierungs- und Solidarność-Mitgliedern gebildet wurde, war ich als Rechtsberaterin tätig und habe in einer Verwaltungsreformgruppe unter Professor Panko Podgorski Regulski ein Konzept zur Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung ausgearbeitet.

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© Rheinischer Merkur Nr. 37, 10.09.2009 |

Zur Person
Irena Lipowicz wurde 1953 in Gleiwitz, Schlesien, geboren. In Kattowitz studierte sie Jura, wo sie sich auch 1992 habilitierte. Von Beginn an schloss sie sich der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc an, für die sie auch im Untergrund tätig war. 1991 wurde sie für die Demokratische Union von Tadeusz Mazowiecki in den Sejm, das polnische Parlament, gewählt. Von 2000 bis 2004 war sie als polnische Botschafterin in Österreich tätig. Seit 1998 hat sie den Lehrstuhl für Verwaltungsrecht an der Warschauer Kardinal-Wyszynski-Universität inne. Sie lehrte auch an den Universitäten Köln, Passau, Tübingen, Athen und Graz. Seit 2008 ist sie geschäftsführende Direktorin der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Lipowicz ist Trägerin des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland.