Der „Glamour“ der Provinz - Reportage von Małgorzata Pałys, übersetzt von Julika Trümper
Eine Geschichte über Bewohner der Provinz, die sich nicht von dort nicht weglocken lassen. Während viele den provinziellen Gebieten entfliehen, führen einige der Zurückgebliebenen qualitative und technologische Änderungen herbei, indem sie etwas „Neues“ auf dem „Alten“ aufbauen, aber dabei die Tradition des Alten und ihre eigenen Wurzeln nicht aus den Augen verlieren.
Wir befinden uns in der Provinz – mitten in Europa, in der polnisch-deutsch-tschechischen Grenzregion, und zugleich am Ende der Welt. Dennoch gibt es Menschen, die genau hier einen Ort gefunden haben, um ihre persönliche Leidenschaft auszuleben. Am Rande der globalisierten Gesellschaft erneuern und entwickeln diese Menschen das Erbe ihrer Traditionen.
„Ah, da habe ich einen Baum
gepflanzt, einen Haselnussbaum,“ Diana zeigt in Richtung Gartenende, „und auf
der Bank dort sehe ich mich, in 30 Jahren, mit meinem Ehemann.“
Es ist ein sonniger Herbsttag im letzten Jahr: Wir sitzen mit Kaffee und einem
Stück Pflaumenkuchen auf der Terrasse, den Kuchen hat meine Gesprächspartnerin
selbst gebacken. Die Mittdreißigerin Diana Podlesch wohnt in Forst, einem Dorf
mit ein paar tausend Einwohnern direkt an der polnischen Grenze – nach Polen
muss man nur die Brücke über die Lausitzer Neiße überqueren. In dieser sich
allmählich entvölkernden Region Ostdeutschlands („es gibt hier dreimal so
viele Wohnungen wie Leute“), von Berliner Politikern als „Wolfsgebiet“
bezeichnet, wohnt Diana mit ihrer Familie in einem Neubauhaus. In Forst wohnten
schon ihre Vorfahren, und hier wird auch sie bleiben, in demselben Ort, in dem
ihr Urgroßvater den heute berühmten „Rosengarten Forst“ gründete, der in diesem
Jahr sein 100-jähriges Jubiläum begehen wird. Mit Blick auf dieses Ereignis
kümmert sich Diana um die Pflege des Gartens und um das Fundraising für den
Wiederaufbau des Springbrunnens, eine der ehemaligen Hauptattraktionen. Die
Jubiläumsfeierlichkeiten sind für Juni 2013 geplant, zu diesem Zeitpunkt wird
der Großteil der 800 Rosensorten blühen und den Garten geradezu paradiesisch
erscheinen lassen. Dianas Beweggründe sind simpel – der Rosenpark hat bereits zwei
Weltkriege sowie fünf politische Systeme überdauert und gedeiht wie eh und je.
Und dennoch, warum nimmt Diana diese Aufgabe auf sich – sie ist jung, sie zieht
Kinder groß, arbeitet außerdem als Eventmanagerin im restaurierten Kinotheater
Forster Hof, das eine Ortsbewohnerin der Stadt abgekauft hat – eine waschechte Unternehmerin.
Ihre Arbeit bietet neue Möglichkeiten und erweckt ein historisches Objekt des
kulturellen Stadterbes mit modernen Ideen wieder zum Leben – neben
traditionellen Festen organisierte sie zum Beispiel auch Public
Viewing-Veranstaltungen während der EM 2012. Früher gab es in Forst sieben
solcher Kulturobjekte, nun ist nur noch dieses letzte übrig. Es erinnert an die
vergangene Pracht des Städtchens.
Diana hat auch schon in der Großstadt gearbeitet, als Floristin in Berlin. Sie
wollte ihrem Vater zeigen, dass sie dazu in der Lage ist, kehrte letztendlich aber
wieder nach Forst zurück. Sie erklärt, dass ihre Wurzeln einen starken Einfluss
darauf haben, was sie für ihre Heimat tut – sie schöpft aus ihnen Kraft und ist
der Überzeugung, dass jeder Mensch, dem seine Eltern ihre Familiengeschichte
mitgegeben haben, diese Heimat in sich trägt. „Solche Erzählungen haben für
Kinder eine größere Bedeutung, als viele vermuten“, meint Diana, die in
bester Familientradition den Beruf des Gärtners ergriff und Floristmeisterin
wurde.
Ein noch größeres Problem ist laut Diana, dass heutzutage
Mehrgenerationenfamilien nicht mehr unter einem Dach leben – die Großeltern
arbeiten bis ins hohe Alter und verbringen wenig Zeit mit der jüngeren
Generation. Und wenn sie sich doch einmal sehen, dann sprechen sie über
nebensächliche Dinge und verpassen die Gelegenheit, ihren Enkeln wichtige Informationen
weiterzugeben und sie damit zum Nachdenken anzuregen.
Diana sieht in ihrer Tätigkeit einen inneren Zwang und ist der Überzeugung,
dass man sich überall dort finden kann, wo etwas Wichtiges zu machen ist.
Darüber hinaus hat sie einen starken Mann an ihrer Seite. Über die Frage zur
Emanzipation muss sie schmunzeln: „In der Gesellschaft wird so viel über
Geschlechterrollen diskutiert, aber was wollen wir wirklich? Dass der Mann in
der Küche steht und Kuchen backt. Natürlich kann er das machen, wenn er will,
wenn wir uns gemeinsam dazu entscheiden. Ich bin der Tradition treu, ich ziehe
die Kinder groß und backe Kuchen, obwohl mein Mann dazu genauso in der Lage
ist.“
Von den lokalen Behörden würde Diana sich eine bessere Kommunikation im kleinen
Bereich wünschen. Hier zeigt sich ein gesellschaftliches Problem – früher gab
es in Kleinstädten noch ein echtes Gemeinschaftsgefühl, heutzutage pflegen wir
Kontakte über Facebook und verlieren darüber allmählich die Fähigkeit, bei
unserem Nachbarn zu klopfen und ihn zu einem Gläschen Wein einzuladen.
In ihrem erfüllten Leben, egal ob es sich um den Verein, den Rosenpark oder den
Forster Hof handelt, schöpft Diana Kraft aus ihrem Glück in anderen
Lebensbereichen. Sie hat vier Kinder und sagt dazu: „Ich weiß, dass das extrem
konservativ ist, ein wenig wie in einem Rosamunde-Pilcher-Roman, aber es macht
mich glücklich. Wenn man sich in der Provinz wiederfindet, muss man als Frau
wissen, was man will. Viele Frauen haben keine erfüllende Aufgabe, obwohl sie
auf die 40 zugehen, daher fehlt ihnen dann das Gefühl von Zufriedenheit und
Stolz. Das Fernsehen redet uns ein, dass Glück etwas anderes ist und erklärt
uns, was gut und schlecht ist…“
Und ist sie selbst eine moderne Europäerin? „Naja, was sind denn mittlerweile
tatsächlich die Kriterien dafür?“ – Diana muss länger nachdenken. Sie hat
Fremdsprachen gelernt, ist viel verreist, ist aber auch Traditionalistin und
schämt sich nicht dafür. Wenn ganz Europa zusammenwächst, ist es wichtig, sich
eine regionale Identität zu bewahren. Davon ist Podlesch überzeugt – und lebt
dementsprechend zeitgemäß, ohne ihre Wurzeln zu vergessen.
Kutschen der Zukunft
Es gibt Teile Polens, aus denen
der Großteil der Jugend nach der Schule sofort wegzieht, ohne jemals wieder
zurückzukehren. Soziologen versuchen, das Symptom zu benennen, aber wie soll
man die Situation tatsächlich beschreiben? In einem solchen Teil Westpolens, in
Gola Wąsoska in Niederschlesien, haben die Brüder Kutzmann ihren Geschäftssitz. Sie
stellen Pferdekutschen im vom Vater gegründeten Familienbetrieb her. Maciej ist
fast 30, Marek 34, beide haben mehrere Studiengänge absolviert. Marek hat
Management, Marketing und Arbeitsschutz studiert, er entwirft Kaleschen und
beschäftigt sich mit der Produktionstechnologie und –organisation; Maciej hat nach
dem Ingenieursstudium eine Fortbildung zu Finanzen, Buchhaltung und
internationalem Handel absolviert. Die beste Bildung bietet aber das echte
Leben und die Führung eines richtigen Betriebs. Die Brüder waren von den
theoretischen Studiengängen, deren Inhalte schnell an Aktualität verlieren,
enttäuscht – Marek sagt mittlerweile, dass er nicht Marketing, sondern
Geschichte des Marketings studiert habe. Sie hatten mehr erwartet, hatten aber
auch einen offenen Verstand und eine kreative Ader. Warum sind die beiden dann nach
dem Studium aus Wroclaw zurück aufs Land gezogen?
Es ist tatsächlich tiefstes Hinterland, ohne große Arbeitschancen, echte
Provinz, aber eine gute Gegend, was Natur und Tourismus angeht. Die Brüder
haben seit ihrer Jugend in der Firma ihres Vaters Erfahrungen gesammelt. Ihr
Vater dient ihnen als Beispiel, dass harte Arbeit sich auszahlt. Dies zeigte
sich wirtschaftlich und erleichterte den beiden ihre Entscheidung, denn wenn
Geld und Zufriedenheit vorhanden sind, warum sollte man dann etwas ändern. Gemeinsam
beschlossen die Brüder, in den väterlichen Betrieb einzusteigen. Als ihre
Produkte sehen sie nicht nur Unterhaltung und Erholung, sondern auch die
Erhaltung von Pferderassen.
Trotz des Motorisierungsbooms des 21. Jahrhunderts produzieren die Brüder
weiterhin ihre Pferdekutschen und exportieren jährlich ungefähr 300 Kutschen in
die ganze Welt. Ihr Produkt hat einen großen Wert mit Blick auf die Tradition
und das Erbe ländlicher Kultur sowie die Pferdezucht. Allerdings ist die
Innovation im Spektrum der produzierten Kutschen gegenwärtig außergewöhnlich
gut.
„Das, was wir machen, erweitert unseren Horizont – wir verkaufen unser Produkt
so ziemlich in alle Ecken der Welt. Wir haben weitreichende Kontakte, lernen
nicht die Industriegebiete, sondern die Provinz Europas kennen, die
Traditionen, Sitten, Bräuche.“ Die Brüder sind begeistert von den ländlichen
Gebieten Andalusiens, vom Gemeinschaftsgefühl und dem ruhigen Leben, das die
Menschen dort führen: „Die sind genau wie wir – sie essen Schweinefleisch,
können gut Spaß haben, schauen nicht in erster Linie aufs Geld, lassen sich
nicht amerikanisieren – und es gibt dort die meisten Pferde in Europa.“ Ihre
Reisen durch die Welt bestätigten ihnen ihre Vorstellung vom Land, nirgendwo
sonst ist es so abwechslungsreich, selbst nicht in den Vereinigten Staaten.
Der EU-Beitritt und die Öffnung der Grenzen hat die Arbeit der Firma
erleichtert, Komplexe brauchten sie keine zu haben. Schon Kutzmann senior knüpfte
auch Kontakte ins Ausland, unmittelbar nach den Umstürzen im Jahr 1989, aber
natürlich sah damals noch alles anders aus – stundenlanges Warten an den
Grenzübergängen. „Nach wie vor gibt es Barrieren, die mit unseren Behörden
zusammenhängen – viele Kunden aus dem Ausland verstehen den gewaltigen Aufwand
der polnischen Bürokratie innerhalb der EU nicht, z.B. die Notwendigkeit, den
richtigen Stempelabdruck zu haben, damit eine Unterschrift anerkannt wird.“
Man sollte meinen, dass lokale Arbeitgeber auf die Unterstützung der
Lokalpolitik zählen könnten, aber so einfach ist es nicht. „Wir leiden unter
der fehlenden Infrastruktur in der Gemeinde, die schlechten Wege und häufigen
Stromausfälle schaden unserer Firma sehr,“ bestätigt Marek. Sie arbeiten aber
mit der Gemeinde und der Kommune zusammen, bewerben sie in ihren
Werbematerialien, empfangen Gäste ihrer Partner aus dem Ausland.
„Es klingt nicht gerade bescheiden“, stellt Maciej offen fest, „aber wir haben
den Eindruck und sogar die Überzeugung, dass wir im Grunde die Gemeinde Wąsosz
in der Welt repräsentieren, einfach dadurch, dass wir von hier kommen. Unsere Marke
ist weltbekannt – unserer Kaleschen liefern wir bis nach Chile, Korea, Japan,
Amerika und Australien.“
„Ich bin sogar Ratsmitglied geworden,“ sagt Maciej. Er bemüht sich, Stereotypen
zu durchbrechen: „Ich kämpfe nicht gegen das System, aber ich sehe den
Unwillen, mit dem junge Menschen sich belehren lassen, wenn ich im Ausland
bewährte Methoden vorschlage.“
Wie kann man junge Menschen zum Bleiben bewegen? Man sollte weniger reden und
mehr tun. Als Ehrenamtlicher und Ratsmitglied stimmt Maciej nicht mit der
langjährigen Strategie des Landes überein, die in erster Linie die Städte als
Antriebskraft des regionalen Wachstums unterstützt. „Das ist größtenteils
Propaganda – alle Fernsehserien spielen in der Stadt, und die Medien gestalten
unser Leben zu stark.“
Sie kritisieren die Strategien zur Unterstützung von Firmen, weil diese zu
kurzzeitig wirken. Als Nischenprodukt hat ihre Ware zwar traditionelle
Eigenschaften, aber die Produktionstechnologie ist auch hier modern. Es werden Plotter
und Computerprogramme verwendet, der Kunde erhält ein 3D-Modell seines
Auftrags. Das Know-How in der Kutschenproduktion beinhaltet heutzutage
Scheibenbremsen, Lichtsysteme, Tachometer und sogar eingebaute Radios. „Neuentwicklungen
entstehen aufgrund von Kundenbedarf – immer wenn wir etwas Neues entwickeln
müssen, überlegen wir uns gemeinsam mit unserem Vater Ideen, danach folgt der
Praxistest, also die Umsetzung.“
Kutzmann senior gibt weiterhin seinen Rat, er lehnt aber keine Entscheidung
seiner Söhne ab – mit der Begründung, dass seine Zeit jetzt vorbei sei. Die
Brüder sind sich einig, dass die zwischenmenschlichen Fähigkeiten ihres Vaters unbezahlbar
sind – er kann besser mit den Mitarbeitern reden, hat einen besseren Zugang zu
anderen Menschen. Der Arbeitsmarkt ist unsicher, daher wissen die beiden
vielseitige Mitarbeiter zu schätzen.
Häufig liest man Aussagen wie: „Der Aufbau einer Marke ist eine langwierige Arbeit
und es dauert seine Zeit, bis sich das Ganze auszahlt, aber es lohnt sich“. Für
die Brüder hat sich dies bereits erfüllt, trotz der auftretenden Schwierigkeiten
und begangenen Fehler. Sie passen ihre Pläne stets an den Markt an, indem sie beispielsweise
das Verhältnis von Handel und Produktion verändern, oder auch den
Dienstleistungsbereich vergrößern werden, weil sie dort eine Zukunft sehen. Sie
wollen zudem intensiver in die Pferdebranche einsteigen, die immer
herausfordernder wird.
„Wir werden unterschiedlich eingeschätzt – in der Lokalgemeinschaft sehen viele
Leute zwar Äußerlichkeiten wie das neue Auto des Chefs, können aber nicht
objektiv unser Engagement sehen. Andererseits werden wir von den Behörden
ausgezeichnet. Wir arbeiten hart, und sind voller Optimismus,“ fasst Maciej
zusammen.
Ahoi Provinz
Jarosław Nosek, Brauer aus
Broumow in Nordtschechien, ist ein Visionär. In den gewaltigen verfallenen
Mauern einer alten Benediktinerbrauerei sah er das Potential, etwas aufzubauen.
Nach dem Ruin des Landeseigentümers kehrte der tschechische Brauer zur
traditionellen Bierbrauweise der Klosterbrüder zurück. Im Zeitalter der
Geschmacksglobalisierung nahm er die Sehnsucht nach etwas Gutem und Eigenem
wahr. Man könnte ihn als Brauherr- Museumsleiter seines eigenen Geschäfts
bezeichnen, da er gerne Touristengruppen durch das von ihm geschaffene Museum
führt, aber auch durch den Produktionslärm der alten Brauerei. Die
Abschlussattraktion des Besuchs ist natürlich die Geschmacksprobe, bei der
zahlreiche verschiedene Biersorten probiert werden können, mit oft
überraschenden Geschmacksrichtungen, ganz nach Devise des modernen Marketings.
Der Kunde muss schließlich auf irgendeine Weise angelockt, überrascht,
verblüfft werden, man gibt ihm die Wahl beispielsweise zwischen Bier mit
Sanddorn, Ahornsirup oder Pfeffer. Lokale Bierbrauereien liegen im Trend, sie
bereichern das touristische und kulinarische Angebot – aber die Jugend kann man
in diesen Gebieten nur durch Arbeitsangebote halten, meint Jarosław Nosek.
Broumow ist eine kleine Stadt im Norden der tschechischen Provinz, direkt an
der polnischen Grenze. Es ist nicht einfach, hier ein Geschäft aufzubauen,
trotz der unbestrittenen Schönheit der Umgebung sowie des von einer
tschechischen Bierbrauerorganisation mit höchsten Auszeichnungen geehrten
Opat-Bieres. Man muss jemanden mit Leidenschaft finden, der sich nicht von den
Ideen des Konsums verführen lässt. Die Ausstellungsstücke seines Museums
sammelte und erwarb Nosek schon früh durch Internetauktionen. Die Behörden
schonten oder ermutigten den Brauer aus Broumow nicht; auch die EU war keine
Hilfe. Die Überzeugung Noseks reichte nicht aus, um andere zu
Finanzierungshilfen bei der Brauereigründung zu bewegen, und das Risiko eines
Misserfolgs war groß. Die Motivation und Anstrengungen müssen grenzenlos
gewesen sein, aber Nosek nutzte das Potenzial der Brauerei und der Umgebung
dank seiner Führungsqualitäten und seinem offenen Blick auf die Welt optimal
aus. Neulich hat er sich mit einem Kollegen ein Angebot für Kinder überlegt -
sie werden in einem alten Schloss eine Ausstellung über Drachen zusammenstellen.
Der Großteil von Noseks Besuchern kommt aus Polen, Grenzen spielen für den
Bierbrauer keine Rolle – er ist ein Bürger Europas.
Erneuerung vor dem Hintergrund der Tradition
Jeder meiner Gesprächspartner
aus den Grenzgebieten – der tschechische Bierbrauer, die polnischen Brüder
sowie Diana aus Deutschland – stellte fest, dass sich in der Provinz das wahre
Leben finden lässt, wo noch authentische Produkte mit Sinn hergestellt werden,
wo die eigene Arbeit wirklich gebraucht wird. Der Gedanke und Wert dieser
Unternehmen reicht über reine Gewinnerwirtschaftung hinaus, dies spiegelt sich
in jedem Fall in der Zufriedenheit mit der eigenen Lebensführung wider.
Im Falle meiner Helden wäre eine Trennung von den eigenen Wurzeln eine soziale
Ausgrenzung, sie geben diesen Wurzeln einen übergeordneten Wert. Anstatt sich
zu beschweren, beginnen sie, ihre Realität selbst zu gestalten.
Über Strukturgelder werden zu wenige Wachstumsimpulse in den Grenzgebieten
gegeben. Die Grenzen mag es zwar nicht mehr geben, aber bremsend wirkt jetzt,
dass es nicht genug Menschen gibt, die Verantwortung für das Aufleben dieser
Gebiete übernehmen. Auch sollten diejenigen, die Ideen haben, diese umsetzen
wollen und dafür ihre Seele und ihr ganzes Vermögen aufwenden, nicht darin
behindert werden. Der Stolpe-Plan, der nach dem Ende des Kommunismus die Chance
hatte, in den Oder-Grenzgebieten wirtschaftliche Aktivitäten auszubauen, schlug
fehl aufgrund der politischen Ängste vor dem Aufkaufen der zurückerhaltenen
Gebiete durch die Deutschen und daraus folgender Abhängigkeit von diesen. Erst
in den letzten Jahren begann dank Unterstützung durch EU-Gelder die Erneuerung
der Infrastruktur dieser Region. Allerdings gibt es beträchtliche Missverhältnisse
– wir jagen verlorener Zeit hinterher.
Die spezifischen Bedingungen dieser Orte sind offensichtlich; es gibt gute
Ansätze, in denen man immer weniger Vorurteile zwischen den unterschiedlichen
Menschen sieht.
Zu Wort kommt jetzt die Generation, die in „ihren“ Gebieten geboren und
aufgewachsen ist und eine starke Bindung zur Region hat. Wird sich also jetzt
die Provinz beschleunigen, eine Erneuerung, bei der die „hier Geborenen“ über ihre
Zukunft entscheiden werden? Ein Programm zur Förderung Westpolens wurde
ausgearbeitet, daher besteht jetzt die Möglichkeit, seinen eigenen Prioritäten
anstatt den von der Hauptstadt vorgegebenen zu folgen. Und bietet die
konservative, aber ideelle Provinz eine Chance für uns alle? Möglicherweise –
dort gibt es noch Werte, die der Welt des Konsums und der Großstädte mit ihrer
Anonymität, ihrer Hast und ihrer unklaren Identität abhandengekommen sind.
Reportage von Małgorzata Pałys
Übersetzt von Julika Trümper