Titus Andronicus – über die Inszenierung von Jan Klata berichtet Maja Antkowiak
Titus Andronicus – über die Inszenierung von Jan Klata berichtet Maja Antkowiak
In Shakespeares Titus Andronicus liegt alles auf der Hand. Die größten Vorwürfe, die diesem Stück wohl je gemacht wurden, sind seine unerbittliche Wortwörtlichkeit und das Fehlen jeglicher Distinguiertheit. Klata ist an dieses „Minus“ mit Demut herangegangen und hat diese schwierige Atmosphäre des Stückes hervorragend wiedergegeben.
Über Titus Andronicus ist schon vieles gesagt worden. Zu Shakespeares Lebzeiten war er eines der beliebtesten Theaterstücke. Aber sagt diese Tatsache etwas über seinen Wert aus? Die Kritikermeinungen gehen auseinander. Der amerikanische Dichter und Nobelpreisträger Thomas Stearns Elliot bezeichnete den Titus Andronicus beispielsweise als eines der dümmsten jemals geschriebenen Stücke. Es sei unglaublich, dass Shakespeare da seine Finger drin hatte. Hatte er aber. Jan Klata scheint sich aber von solchen und ähnlichen Äußerungen nicht anstecken zu lassen, mehr noch: Er reicht dem „Titus“ die Hand. Er will ihn nicht bemitleiden, sondern er will mit ihm experimentieren.
In Shakespeare Original rettet Titus das von inneren Kämpfen und den Angriffen der Goten geschwächte Rom. Jan Klata hat aus der klassischen Tragödie eine Farce über die deutsch-polnische Geschichte gemacht: hier sind die Römer Deutsche und die Goten Polen. Werden Polen und Deutsche nebeneinander auf eine Bühne gestellt, setzt das bereits ein gewisses stereotypes Denken in Bewegung. Neben Mercedessen und Bier assoziieren wir unsere Nachbarn weiterhin mit dem Krieg. Diese Assoziationen negiert der Regisseur nicht, sondern er bestätigt unsere unwillkürlichen Gedanken geradezu. Davon zeugen beispielsweise die T-Shirts der Römer, auf denen uns gut bekannte Fotografien aus Kriegszeiten abgedruckt sind (Entfernen der Grenzschranke im Jahr 1939, ein Wehrmachtssoldat, der auf eine Mutter mit Kind schießt, die brennende Kuppel des Königsschlosses usw.). Außerdem ruft der römische Tribun Marcus (Torsten Ranft), der Bruder des Titus Andronicus (Wolfgang Michalek), mir nichts dir nichts anstatt „Ave Cesar“ „Heil Hitler!“. Das sind echte provokative Klata-Eingriffe.
Das Bühnenbild (Justyna Łagowska) ist weit entfernt von jeglicher Pracht. Es besteht im Grunde nur aus einer weißen Plane im Hintergrund (Horizont genannt) sowie aus schwarzen, länglichen Truhen mit Metallbeschlägen, die von den Schauspielern selbst während der Vorstellung auf die Bühne getragen werden. Das sind Särge, in denen die im Krieg gefallenen Söhne des Titus zurückkehren. Diese Szene dauert bei scharfen Gitarrenriffen so lange, bis das Publikum in die gewünschten Trans verfällt.
Und dann beginnt das „Gemetzel“, wie die Künstler selbst sagen: Titus Andronicus ist ein vulgäres Werk, dieses Stück ist nicht originell, nicht inspirierend, es ist übertrieben, effekthascherisch, im besten Falle für Geld geschrieben – die Figuren sind oberflächlich, unglaubwürdig, falsch unter historischen Gesichtspunkten und eigentlich ebenso unpoetisch wie Tschechien am Meer“, sagt Ole Georg Graf, einer der Dramaturgen. Die Handlung bestätigt seine Worte. Der römische Führer will den Tod seiner Söhne rächen und bringt den Erstgeborenen der Gotenkönigin Tamora (Ewa Skibińska) um. Trotz des eindeutigen Willens des Volkes verzichtet er später auf den Kaiserthron, und bestimmt Saturninus (Stefko Hanushevsky) für das Amt. Der neue Kaiser nimmt die schöne Lavinia zur Frau, die einzige Tochter des Titus (Paulina Chapko). Tamora verführt jedoch Saturninus mit einer die Phantasie überwältigenden erotischen Darbietung auf einem Eisblock. Wer würde da nicht erliegen? Tamora wird die neue Kaiserin von Rom, damit sie sich heimtückisch für den Tod ihres Sohnes rächen kann.
Doch bevor das alles geschieht, bekommt der Zuschauer eine Hochzeit mit Pop-Remix-Musik zu sehen. Tomasz Zaborski – der Tontechniker schmückt die gesamte Vorstellung mit einer Collage aus dem Zuschauer bekanntem musikalischen Material (z. B. mit der Melodie aus einem Werbespot für die Eismarke Algida), die er auf eine zweifelsohne zauberhafte Art mit dem kontrastiert, was auf der Bühne geschieht. Und da geschieht viel: die brutale Vergewaltigung von Lavinia, eine herausgerissene Zunge, abgehakte Hände, Menschen, die zu Pastete verarbeitet werden, und kannibalische Festmahle… Titus Andronicus hat tatsächlich von allen Shakespeare-Dramen den höchsten Anteil an Todesopfern: vierzehn Morde (nicht eingerechnet die schon vorher ermordeten Söhne des Titus). Weiter geht es mit den erotischen Orgien von Tamora mit ihrem Geliebten Aaron (Wojciech Ziemiański). Letzterer ist eine ausgesprochen kontroverse Gestalt: ein schwarz angemalter großer Mann mit vielsagenden Hörnern auf dem Kopf, zwischen dessen Beinen ein schwarzer Penis hängt, der bis zu seinen Knien reicht. Diese authentische Verkörperung rassistischer Ängste und Fantasien beschreibt die brutalen Vorfälle am ausführlichsten und besonders detailliert.
In diesem Stück ist alles allzu wörtlich, als hätte Klata die Grenzen dessen, was das Publikum ertragen kann, austesten wollen. Die komischen und übertriebenen Koitusbewegungen gehen über Obszönität hinaus und haben nicht mehr viel mit gutem Geschmack zu tun. Pempuś und Majnicz (in den Rollen der Söhne von Tamora) beschimpfen den nichts verstehenden deutschsprachigen Römer. Doch das Publikum ist nicht empört, im Gegenteil – es bricht in Gelächter aus. Positiv überrascht in dieser ganzen Farse die melancholische Szene, in der Titus flüsternd seiner verstümmelten Tochter singt: „Ich bin das Meer; hör ihre Seufzer wehn!/Sie ist die Luft in Tränen, ich das Land;/So schwellen ihre Seufzer denn mein Meer (…)“ Eine wichtige Rolle in dieser Szene, so wie in der gesamten Vorstellung spielen die meisterhaften Untertitel (Autoren sind Lorenz Schuster und Agnieszka Fietz), die hier lediglich den trockenen Übersetzer geben sollen, aber eine gesonderte künstlerische Show darbieten.
Man kann Jan Klata ruhigen Gewissens zugestehen, dass er auch dieses Mal nicht enttäuscht. Die Inszenierung ist durchdacht und ausgefeilt. Allein die Tatsache, dass Klata zu einem Stück gegriffen hat, dem nicht allzu wohlwollende Meinungen anhaften, zeigt den großen, ja geradezu imponierenden Mut des Regisseurs. In Shakespeares Titus Andronicus liegt alles auf der Hand. Die größten Vorwürfe, die diesem Stück wohl je gemacht wurden, sind seine unerbittliche Wortwörtlichkeit und das Fehlen jeglicher Distinguiertheit. Klata ist an dieses „Minus“ mit Demut herangegangen und hat diese schwierige Atmosphäre des Stückes hervorragend wiedergegeben. Wolfgang Michalek sagt über die Arbeit mit dem polnischen Regisseur: „Klata bringt vor allem Emotionalität in dieses Stück. Er maximalisiert in der Inszenierung das schlummernde Potenzial, das in Konflikten liegt. Im Titus trifft er genau diese Stelle, an der zwei Kulturen zwischen Sympathie und Antipathie, die beide Länder füreinander hegen, aufeinandertreffen. Dabei bleibt er offen und ist stets auf der Suche. Diese Expression der Emotionen, die Klata selbst und auch die Schauspieler aufbauen, spürt man auf der Bühne beinahe in jeder Minute.“
Zum Abschluss will ich mich noch einmal der Worte von Ole George Graf bedienen: „Alle Wege führen nach Rom. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, einen Weg zu finden, der nicht nach Rom führt.“ Sowohl das Werk von Shakespeare selbst, als auch die deutsch-polnische Inszenierung haben den Weg zu dem, worin die Meisterhaftigkeit des Titus Andronicus besteht, zweifelsohne gefunden.
Das Projekt ist entstanden in Koproduktion des Staatsschauspiels Dresden und dem Teatr Polski in Wrocław.
Maja Antkowiak