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Du bist in Ordnung, aber schreib was anderes – ein Bericht von Dariusz Dłużeń

Gott sei Dank gab es auf beiden Seiten der Grenze Menschen, die nicht gleichgültig an einem Buch vorbeigehen konnten, das über das schwere Schicksal zweier Völker berichtet: des polnischen und des deutschen. Alle, die mitgeholfen haben, das Buch herauszugeben, trafen sich am 5. März in der Universitätsbibliothek KUL in Lublin zu einer Diskussion, die von Monika Sieradzka geführt wurde, einer Journalistin des TVP.

Ohne Versöhnungskitsch

„Ohne Frau Posmysz wäre das Buch nie herausgegeben worden“, sagte der Autor selbst und bedankte sich für ihre Hilfe. Sofia Posmysz, eine Schriftstellerin und ehemalige KZ-Gefangene in Auschwitz-Birkenau, hatte das Buch gelesen und  mit ihrer Empfehlung maßgeblich zu seiner Verbreitung beigetragen. 

„Ein großartiges Buch“; diese Worte, die das Vorwort zur polnischen Ausgabe einleiten, fielen mehrmals während des Treffens. Mit diesem Gütesiegel war das Buch auf dem besten Weg zu einer Veröffentlichung in Polen. Es hatte sich ein Herausgeber gefunden, der sich nicht scheute, diese schwierige Thematik zu behandeln. Grzegorz Bluszcz, der Vorsitzende des Verlags Akcent sagt: „Ich hätte das Buch auch herausgegeben, wenn es mir nicht empfohlen worden wäre.“

Für die Veröffentlichung interessierten sich auch   Nichtregierungsorganisationen: Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben das Projekt unterstützt. Falk Altenberger, der Vorsitzende der zuletzt genannten Institution begründete die Beteiligung am Projekt so: „Das Buch trägt zu einem besseren Verständnis und einer Versöhnung ohne Versöhnungskitsch bei.“ Der Ausdruck Versöhnungskitsch existiert in der öffentlichen Diskussion seit Anfang der 90er Jahre. Laut  Tageszeitung haben wir es dann mit ihm zu tun, wenn wir jede politische, kulturelle oder geschäftliche Handlung als Versöhnung beschreiben.

An der Diskussion nahm auch Dr. Tomas Kranz teil, der Direktor des Staatlichen Museums Majdanek, dessen Wissen und Erfahrung besonders im Diskussionsteil über das politische Gedächtnis wichtig waren. Von diesem Thema ausgehend begann ein Gespräch und es fielen sofort Worte, die alle sehr stark beschäftigten. Ausgesprochen wurden sie von einer ehemaligen Gefangenen des Konzentrationslagers, was sie noch eindringlicher machte.

Einen Sinn

„Dass ich überlebt habe, hatte offensichtlich einen Sinn!“ Aber sie gesteht gleichzeitig, dass sie, um das denken zu können, erst reif werden musste.

Zwar hatte sie den Bitten der Mutter nachgegeben und war schon drei Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers dorthin zurückgekehrt, aber es war  eine so traumatische Erfahrung, dass sie sie für über zehn Jahre verdrängte. Der Impuls, über ihre Vergangenheit zu sprechen, war eine  Reise nach Paris im Jahre 59, wo sie, wie sie meinte, die Stimme einer SS-Frau hörte, die im Lager ihre Aufseherin gewesen war. Dieses Ereignis war die Inspiration, das Hörspiel Die Passagierin und anschließend ein Buch mit demselben Titel zu schreiben. Die Passagierin schockierte und begeisterte Anfang der 60er Jahre damit, dass es den Alptraum Konzentrationslager literarisch verarbeitete. 1963 kam der bekannte Film von Andrzej Munk in die Kinos, der auf der von Zofia Posmysz aufgeschriebenen Geschichte basiert.

Dieses Ereignis ließ sie auch überlegen, was sie gemacht hätte, wenn sie sich nicht verhört hätte und das tatsächlich die Stimme der SS-Frau gewesen wäre. Hätte sie die Polizei benachrichtigt? Sie kam zu dem Schluss, dass sie es nicht getan hätte.

„Sie war in Ordnung“, sagte sie und schockierte die im Saal Versammelten. Sie fügte hinzu: „Es hat uns Hoffnung aufs Überleben gegeben, im Lager nach Menschlichkeit zu suchen.“

Dann erzählte sie bewegende Geschichten über SS-Männer, die  sich den Gefangenen gegenüber milder verhielten. Leider  waren die, die den Kopf wegdrehten und so taten, als sehen sie die Vergehen der Gefangenen nicht, die wenigsten. Die größte Gruppe bildeten die Wachmänner, die sich einfach an die Regeln hielten, aber die Gefangenen nicht unnötig quälten. Und es gab eine dritte Gruppe:

„Geborene Sadisten und Mörder.“

Transport über die Gene

Die Aussage von Zofia Posmysz korrespondierte sehr gut mit dem Thema Gedächtnispolitik. Wie Tomas Kranz sagt: „Wir müssen die Geschichte erleben, die Spuren nutzen. In der Geschichte von Auschwitz gibt es viel Schatten und Halbschatten.“ Dirk Brauns machte hingegen aufmerksam auf die Oberflächlichkeit der Welt, in der er aufgewachsen war: „Im öffentlichen Raum in der DDR gab es keine ernsthaften Themen. Die Ostdeutschen sprachen und diskutierten nicht über das Recht und dessen Nichteinhaltung. Wir vertraten den Standpunkt, wir seinen Antifaschisten, im Gegensatz zum Westen – ein Problem gab es nicht.“ Es gab bloß etwas Subkutanes – den Transport der Erinnerungen über die Gene –, das keine Ruhe gab.“

Zum Abschluss dieses Diskussionsteils wurde ein Abschnitt aus dem Buch vorgelesen. So konnte man gleich zum nächsten Teil des Treffens übergehen, der dem Roman selbst gewidmet war. Durch ausgewählte Textausschnitte lernten die Zuhörer die Protagonisten des Romans kennen: den jungen deutschen Lehrer, der in Warschau arbeitet, und den älteren Polen, Andrzej, gefangen in Auschwitz. Ihr Zusammentreffen in einem Warschauer Café verwandelt sich in eine tiefere Beziehung, die es ihnen erlaubt, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Sofort nachdem Tomas Kranz diesen Abschnitt gehört hatte, wandte er sich an den Autor mit der Frage, warum er seine Protagonisten auf die Reise nach Deutschland geschickt hatte, um zwei SS-Männer zu suchen, anstatt sie in Bibliotheken und Archiven nach dem Schicksal der Männer suchen zu lassen.

„Ich wollte die Geschichte beleben. Leute aus Fleisch und Blut darstellen, keine verstaubten Archive“, war die Antwort.

Auf eben diese Eigenschaften des Romans machte Zofia Posmysz aufmerksam, als sie gefragt wurde, warum sie sich dafür eingesetzt hatte, dass das Buch in Polen herausgegeben wird. Sie fügte hinzu, dass es aus der Perspektive junger Menschen geschrieben und deshalb sehr nützlich für diese sei.

Es fehlte aber auch nicht an anderen Beurteilungen. Es wurden Stimmen laut, die dem Buch vorwarfen, die Geschichte zu trivialisieren und zu relativieren, um dem Roman ein kleines bisschen Absurdität zu verleihen: die über die Anwesenheit im Sektor B schäkernden Alten, oder der SS-Mann, der friedlich im Garten des Altenheims jätet.

Zofia Posmysz hatte auf diese Vorwürfe eine kurze Antwort: „Dirk war objektiv“, was sie dann mit einem Zitat von Wladysław Bartoszwski erklärte: „Jeder hatte sein Auschwitz”. Das ist schon so zwischen uns, den ehemaligen Häftlingen, Rangeleien, Sich-Überbieten. Einer schlief auf der oberen Pritsche, der andere unten, einer arbeitete auf dem Bau, der andere im Krematorium. Der eine hatte dieses Auschwitz, der andere jenes.

Schlussakzent des Treffens war die Frage, ob man verzeihen könne. Zofia Posmycz antwortete ohne zu zögern mit den Worten aus dem Vaterunser „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“; sie fügte erst nach einer Weile hinzu, dass man nur in eigenem Namen vergeben kann, und stützte sich dabei auf ein Zitat aus Des Herrn Cogito Vermächtnis, einem Gedicht von Zbigniew Herbert: „und übe keine Vergebung wahrlich es liegt nicht an dir Nachsicht zu üben im Namen derer die in er Frühe verraten wurden“.

Nach der Diskussion steuerten die Besucher alle den Stand an, wo das Buch Café Auschwitz verkauft wurde. Das Interesse war so groß, dass es nicht genügend Exemplare für alle gab. Dirk Brauns und Zofia Posmysz signierten bereitwillig die ihnen von den Lesern hingeschobenen Exemplare. Dem Autor wurde gratuliert, dass er ein so schwieriges Thema in Angriff genommen hatte; und Zofia Posmysz dankte man für die Beispiele aus ihrer Lebensgeschichte.

Dariusz Dłużeń, aus dem Polnischen von Marlena Breuer