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Ein Meer an jüdischer Freude – von Martyna Słowik

Was verbindet die Simpsons, Dr. House, eine thailändische Tänzerin und Harry Belafonte? Warum ist es vom ukrainischen Sadagora in die amerikanischen Vorstädte überhaupt nicht weit? Die Antwort auf diese Fragen ist in wenigen Wörtern enthalten: „Lasst uns glücklich sein“ oder – auf hebräisch – „Hava nagila!“.

So heißt ein jüdisches Volkslied, das – man weiß nicht genau wann und wie – auf der ganzen Welt berühmt geworden ist. In einem bestimmten Moment verlor es seine Identität, seine Geschichte, und begann sein Dasein als berühmtes Volkslied – ein Teil der Popkultur, den jeder kennt, doch über dessen Herkunft niemand nachdenkt. In einer Folge singen die Simpsons zur Melodie von 'Hava nagila' 'Fröhliche Weihnachten', und Dr. House hat es als Klingelton auf seinem Handy. Als ob es schon immer existiert hätte. Und für alle. 

Die verworrene und handlungsreiche Geschichte des Liedes versuchte die Königin des Dokumentarfilms, Roberta Grossman,  oft ausgezeichnete amerikanische Regisseurin und Produzentin, zu entwirren. Ihr Film wurde beim XXIV. Festival der jüdischen Kultur in Krakau präsentiert (am 30. Juni im Zentrum für Jüdische Kultur an der Ul. Meiselsa). Dieses für die Liebhaber der jüdischen Kultur wichtigsten Fest hat zum wiederholten Male die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gefördert. 

Das Dokument von Grossman im wahrhaft 'amerikanischen Stil' (dynamische Montage, viele „Schnappschüsse“ und Humor) versucht zu den Wurzeln zu gelangen, die Quelle zu finden, den Anfang des unendlichen Ozeans von Ausführungen dieses Liedes in seinen – oft an Kitsch grenzenden – verschiedenen Varianten, Tempi, Arrangements und Umgebungen (von denen man sich mit eigenen Augen in einem der bekanntesten sozialen Netzwerke überzeugen kann).

„Das ist die Melodie, die zu neuem Leben, Hoffnung und Freude aufruft“, sagt einer der Protagonisten aus 'Hava Nagila (The Movie)'. „Ein schönes jüdisches Symbol“.
Der Text des Liedes ist ganz einfach: „Lasst uns glücklich sein, Lasst uns glücklich sein, Lasst uns glücklich und fröhlich sein / Lasst uns singen,  Lasst uns singen,  Lasst uns singen und fröhlich sein / Erwachet Brüder, Erwachet Brüder, Erwachet Brüder, mit einem glücklichen Herzen!“

Die Spezialisten, die sich im Film äußern, betonen, dass 'Hava Nagila' in jüdischen Familien der „Stoff des Alltags“ war, es wurde bei alltäglichen Verrichtungen gesungen, um die Stunden der Arbeit etwas angenehmer zu gestalten, und vor allem, um die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zu betonen. Seine Entstehung ist mit der Kultur der Chassiden verbunden (die Mitglieder einer religiös-mystischen Bewegung, die im Judaismus im 18. Jahrhundert entstand, eine Gegenbewegung zu den alten Talmudisten), die der Musik und ihrer Rolle im Kontakt zu Gott eine enorme Bedeutung zuschrieben. Sie wiederholten, dass man Gott mit Freude dienen müsse. Wenn du dich nicht freust, kannst du Gott nicht dienen. 

Die amerikanische Regisseurin kam in das ukrainische Städtchen Sadagora, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine jüdische Stadt war. Angeblich entstand 'Hava Nagila' hier. Später gelangt es – zusammen mit den fliehenden Juden – in die Vereinigten Staaten und dann zum neu entstandenen Staat Israel. Viele der Protagonisten im Film überzeugen, dass 'Hava Nagila' unter den „lauwarmen“ amerikanischen Juden, die sich nicht darum kümmern, ihr Wissen um die eigenen Wurzeln zu vertiefen, sehr populär war und noch immer ist.

Man könnte meinen, dass der Film im Verhältnis zu dem Thema, das er behandelt, zu unbeschwert realisiert wurde. Genau das ist meiner Meinung nach jedoch seine Stärke. Roberta Grossman erdrückt den Zuschauer nicht mit chronikalischer Geschichte oder todernsten Fakten. Das alles fehlt natürlich nicht, aber es wird dem Zuschauer unbemerkt zugeführt, mit einer großen Dosis Humor und Bezügen zur Gegenwart. Die amerikanische Regisseurin weiß, was sie tut. Sie bedient sich der Metasprache. Farbig gestaltete Zwischentitel und Kommentare, Schnappschüsse, dynamisches Bild und scheinbare Leichtigkeit sind die Sprache dieser kitschigen Ausführung von 'Hava Nagila, hinter der sich aber eine schöne, rührende Geschichte verbirgt.

Martyna Słowik, aus dem Polnischen von Marlena Breuer