Unvergessliches Erbe. Von Poznan bis Tel Aviv – ein Bericht von Maja Rup
Miasteczko Poznań (nr 3/4-2013) ist eine gesellschaftlich-kulturelle Zeitschrift, die sich mit der jüdischen Geschichte, Kultur und Tradition beschäftigt. Die Publikation ruft die Vergangenheit zurück: Erinnerungen, die sonst verloren gegangen wären, Gestalten, die vergessen sind, oder auch Orte, deren Geschichte wir nicht kennen.
Sie fängt mit den Erinnerungen von Jerzy Herszberg an – er kommt aus Łodź, verbrachte seine Kindheit in Poznań. Er überlebte den Aufenthalt im Ghetto Łodź und verschiedenen
Konzentrationslagern: Auschwitz, Braunschweig, Watenstedt, Ravensbrück. Am Ende ließ er sich in London nieder, wo er Mathematikprofessor wurde. Jetzt hat er sich entschieden, seine Geschichte zu teilen. Jeder individuelle Bericht dient dazu, die Geschichte der entsprechenden Person und ihrer Abrechnung mit der Vergangenheit zu bewahren – obwohl es eine bedeutende Anzahl von Erzählungen zum Leben im Lager gibt, macht uns jede weitere zu einem gewissen Grad ein neues Bild. Herszberg betont oft, dass es ihm in einigen Lagern, wie z.B. in Auschwitz, gar nicht so schlecht ging, wie es hätte sein können, obwohl er weiß, dass er andere damit erzürnen könnte. Er rechnet auch mit den allgemeinen Meinungen ab, die um das Leben im Lager kursieren, indem er es nur aus seiner eigenen Perspektive betrachtet – er hat nie das Orchester von Auschwitz gehört und die Deutschn kamen selten ins Ghetto, für Ordnung sorgte dort die jüdische Polizei.
In dieser Ausgabe finden sich auch Artikel, die uns mit der Gestalt des Zionisten Max Nordau und Rafael F. Sharfs bekannt machen, des aus Krakau stammenden Journalisten, Publizisten und Herausgebers, der sich sein ganzes Leben lang aktiv mit der jüdischen Kultur beschäftigte.
Im Text Jerusalemer Bibliothek lesen wir über Józef Chazanowicz, einen Arzt aus Białystok, Initiator und Mitrealisator der Zentralen Bibliothek des jüdischen Volkes. Der Mann sammelte fast sein ganzes Leben lang hebräische Bücher und hielt Kontakt mit den wichtigsten judaistischen Antiquariaten in Europa. Die Bibliothek entstand 1892. Chazanowicz schenkte ihr ungefähr 63000 Bände.
Anfang des Jahres 1943 versammelten sich auf der Rosenstraße in Berlin protestierende deutsche Frauen. Sie forderten die Freilassung festgenommener Juden – ihrer Söhne und Ehemänner. Der Widerspruch erbrachte den gewünschten Effekt und die Männer wurden freigelassen. Diese wenig bekannte Geschichte stellt eine Situation dar, in der der Widerstand gegen Hitlers Handlungen Erfolg hatte. Leider erfahren wir aus dem Artikel Berlin, Litzmannstadt, Kulmhof mehr über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Berlins als über ihre Rettung. Der Text Hummus mit den Enkeln erzählt wiederum von den jetzigen Bewohnern Berlins – Juden, die sich entschieden haben, aus Israel dorthin zu ziehen.
'Stolpersteine' heißen in die Gehwege eingelassene Steine. Sie befinden sich vor den Häusern, in denen deportierte Juden wohnten. Sie sollen eine Störung darstellen, ein symbolisches 'Stolpern' verursachen. Die ersten dieser Tafeln tauchten in der Spandauer Vorstadt auf. Ums sie geht es im Text Mäander der Revitalisierung. Wir lesen dort auch über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und über den Aufstand und die Geschichte des Jüdischen Museums in Berlin. Der Neue Flügel des Gebäudes wurde von Daniel Liebeskind geplant. Besonders interessant sind die sogenannten Voids (Leerräume), vertikale Räume, die das Gebäude gliedern. In einer von ihnen wurden auf dem Fußboden Skulpturen platziert: Gesichter aus Metall, die aussehen, als würde sie schreien. Der Besucher ist gezwungen, über sie hinwegzugehen. Shalechet heißt diese Installation des Künstlers Menashe Kadishman.
Aus Miasteczko Poznań erfahren wir auch etwas über weniger offensichtliche mit der jüdischen Kultur verbundene Orte. Die Stadt Henoch Glicensteins erzählt über die Ortschaft Turek. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohnten dort neunzehn jüdische Familien, hingegen 1939 wurde die jüdische Bevölkerung auf 1900 Personen geschätzt. Den Krieg überlebten etwa 40 davon. In Inowrocław wurden im Zuge von archäologischen Arbeiten Grablatten von einem jüdischen Friedhof entdeckt, die von den Deutschen zum Straßenbau verwendet worden waren. Diese Denkmäler werden inventarisiert und dokumentiert. Das litauische Jerusalem – Vilnius beschreibt ein jüdisches Stadtviertel genannt „Schwarze Stadt“, und in Jüdische Spuren in der Kaschubei lesen wir über ein polnisch-kaschubisch-deutsch-israelisches Projekt, das dem Kennenlernen der jüdischen Geschichte und Kultur in der Kaschubei dient.
Die Ausgabe enthält auch Gedichte von Jakow Besser, einem in
Kalisch geborenen jüdischen Dichter und Übersetzer, und eine Rezension von Ida, dem Film des Regisseurs Paweł
Pawlikowski. Er erzählt von der Beteiligung der Polen bei der Vernichtung der
Juden und berührt die Frage der „Kommunisten jüdischer Herkunft“. Jüdische
Erzählungen ist
eine Sammlung von Geschichten über Personen, die der Vernichtung entgangen
sind, geschrieben von Anka Grupińska. Ebenso besprochen werden die Arbeit Die Vernichtung
erzählen. Polnische Prosa und historiografie gegen den Holocaust (1987-2993) von Bartłomiej Krupa und der
Gedichtband Mörderisches Porträt
von Jonatan Barkai
Maja
Rup, aus dem Polnischen von Marlena Breuer