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Zwerge in den Hintergrund! - Arkadiusz Lorenc

Er erfand den Taucheranzug und die Handprothese, entwickelte sogar ein Unterseebot. Fast die ganze Welt kennt ihn – außer Polen. Wird Breslau nun endlich Karl Heinrich Klingert wahrnehmen und ihn zum Symbol der Stadt machen?

– Arkadiusz Lorenc

Justyna Wasiak fuhr nach Berlin, um im Archiv der Akademie der Wissenschaften nach Informationen über Karl Heinrich Klingert zu suchen – und traf dort auf außerordentliches Wohlwollen. Die Deutschen verschafften ihr Zugang zu Dokumenten, die zuletzt vor 250 Jahren angeschaut worden waren – also zu dem Zeitpunkt, zu dem sie in das Archiv gelangt waren. Darunter eine unverständliche Zeichnung. „Im Grunde wussten wir nicht, was das ist“, sagt Karina Kowalska aus dem Tauchermuseum der SdpZ. Auch sie ist, wie Wasiak, Autorin des Projekts über Klingert, den Breslauer Erfinder aus der Wendezeit vom 18. zum 19. Jahrhundert. „Wir baten sogar unsere Bekannten um Unterstützung, um das Rätsel zu lösen. Aber auch sie hatten keine Ahnung, was diese Zeichnung darstellt. Umso mehr, weil sie nicht signiert war, auf ihr war kein einziger Buchstabe, kein Zeichen, nichts, was uns irgendetwas hätte andeuten können. Es gab lediglich ein gezeichnetes Auge – aber das half uns nicht sehr viel weiter.“

Im deutschen Archiv fand Justyna Wasiak auch viele handschriftliche Notizen Klingerts. Das Problem bestand darin, dass sie so klein und unleserlich waren, dass man sie nicht entziffern konnte: „Wir haben sogar den Biografen des Erfinders, Michael Jung, um Hilfe gebeten, der doch von Beruf Ingenieur ist. Doch selbst er wusste nicht, was wir da im Archiv ausgegraben hatten.“

Erst der nächste Besuch in Deutschland und ein Treffen mit Spezialisten der Geschichte des Tauchens brachte eine Lösung. Während der Besprechung der Materialien, welche die Autoren des Projekts im Archiv der Akademie der Wissenschaften in Berlin gefunden hatten, wurde auch die geheimnisvolle Zeichnung gezeigt. Und das war eine gute Entscheidung: Nach der Präsentation meldete sich ein Yacht-Kapitän bei ihnen und sagte, dass Klingert seiner Meinung nach einen Telegrafen entwickelt habe. „Da begannen wir zu lesen und zu analysieren. Wir prüften ganz genau, wie ein Telegraf funktioniert, und fanden heraus, dass die Zeichnung tatsächlich eine Vorrichtung mit einer Leine zeigt, an der man ziehen muss, damit ein Arm sich hebt und der andere sich gleichzeitig senkt. Das ergab Sinn.“ erklärt Kowalska.

So stellte sich heraus, dass Karl Heinrich Klingert nicht nur den Taucheranzug, das U-Boot und die Handprothese erfunden hatte, sondern auch ein Gerät zur Informations-Übermittlung. Kein Forscher, der über Klingerts Erfindungen gearbeitet hat, ist bisher auf diese Spur gestoßen.

Es ist ungewiss, ob der Erfinder sich von Chappes Idee aus dem Jahr 1792 hat inspirieren lassen, oder ob er den Telegrafen unabhängig davon entwickelt hat. Doch dies ist unerheblich, denn Klingerts Vorrichtung funktionierte auf einer anderen Grundlage – und ist ein weiterer Beweis für die Schöpferkraft des Breslauers.

Nach Karina Kowalska zeigte sich Klingerts Talent allerdings vor allem im Projekt ‚Taucheranzug’ von 1797: „Die Basis des Taucheranzugs war eine Glocke aus zwei einzelnen Zylindern. Nachdem er diese übergezogen hatte, überspannte der Taucher sie mit einer Lederjacke, welche die Konstruktion abdichten sollte.“ erklärt sie und fügt hinzu, dass zu jener Zeit alle weltweit gebauten Repliken fehlerhaft gewesen seien, weil sich die Zylinder nicht direkt miteinander verbunden hätten.

Klingert stellte seinen Anzug fertig und fand einen Mann, der darin in drei Metern Tiefe tauchte. Um tauchen zu können, war allerdings eine Schulung nötig. Während dieser Schulung brachte der Erfinder dem Taucher bei, Luft durch die Nase ein- und durch den Mund wieder auszuatmen. Dies war durch zwei Röhren möglich, die mit dem Taucheranzug verbunden waren und über die Wasseroberfläche hinausragten. Viele Jahre später entwickelte Klingert auch einen Luftbehälter, den man am Boden des Wasserbehälters anbringen konnte. Dank dieser Lösung konnte der Taucher tiefer als sechs Meter herabsteigen, was – gemäß den Grundsätzen des Erfinders – die erste Version des Anzugs erlaubte. Doch das Geld reichte nicht, um dieses Projekt durchzuführen, weshalb es bei theoretischen Zeichnungen blieb.

Nach Kowalska und Wasiak ist Klingert eine Figur, über die man zu sprechen beginnen muss. Aus diesem Grund führen sie das Projekt über den Erfinder durch, in dessen Rahmen sie u.a. planen, in der Oder zu tauchen: Ein Taucher, eingekleidet in eine Replik des Taucheranzugs aus dem Jahr 1797, wird unter Wasser gehen. Denn die Replik wurde bereits getestet: „Wir müssen sie nur noch angemessen auswuchten,“ sagt Kowalska und rühmt sich: „Eine solche Replik wie die unsere hat noch niemand hergestellt – auf der ganzen Welt!“

Die Autorinnen des Projekts wollen u.a. mit dem Bildband „Karl Heinrich Klingert. Bürger Breslaus“ und dem Animationsfim „Klingerts Anzug“ die Aufmerksamkeit Polens und vor allem Breslaus auf den Genius dieses bei uns vergessenen Erfinders lenken: „Die ganze Welt kennt Klingert. Alle Taucher kennen ihn, weil man bei Schulungen von ihm spricht. Wahrscheinlich haben ihn alle Autoren von Büchern über die Geschichte des Tauchens erwähnt. Am anderen Ende der Welt, in Papua-Neuguinea, gibt es sogar Klingert-Briefmarken. Und in Breslau hat fast niemand jemals von ihm gehört.“ stellen die Autorinnen des Projekts bekümmert fest. Und verraten ihr Ziel: „Wir wollen, dass die Stadt aufhört, mit Zwergen für sich zu werben und stattdessen anfängt, es mit Klingert zu tun. Denn er ist wahrhaftig eine faszinierende Persönlichkeit.“

 

Der Bildband „Karl Heinrich Klingert“, erhältlich auf deutsch, polnisch und englisch, wird u.a. in Breslauer Museen vertrieben werden. Er ist eine wichtige Publikation, denn er wird, neben den Errungenschaften des Erfinders, auch das multikulturelle Breslau zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zeigen.

Für das Jahr 2017 ist die Premiere eines Animationsfilms über Klingert geplant. Dieser erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Tochter des Breslauers, die nicht verstehen konnte, warum sie mit einem Taucheranzug, den sie als Monster ansah, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters konkurrieren musste. Allerdings verdient der Film Aufmerksamkeit aus einem anderen Grund: Man wird darin genau sehen können, wie sich Klingerts Anzug zusammensetzt. Das ist deshalb wichtig, weil der Erfinder bis heute hauptsächlich für eindimensionale, schwer lesbare Zeichnungen bekannt war.

Am 25. Juni 2016 findet auf der Wyspa Słodowa“ in Breslau der Tauchgang in der Replik des Klingert-Anzugs statt. Außerdem wird eine Ausstellung zum Thema Wasserrettung im 18. und 19. Jahrhundert eröffnet.