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Neo-Hippies im einem Dorf in Podlachien Oder: Junge Menschen drehen Dokumentarfilme – mit Adam Ślesicki spricht Katarzyna Karpińska

Im April fand in Warschau die erste von drei Sessions DOC LAB POLAND 2017 statt, ein Programm, das die Arbeit junger polnischer Dokumentarfilmemacher unterstützt. Einer der Partner ist die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Mit Adam Ślesicki, dem Direktor von DOC LAB POLAND, sprach Katarzyna Karpińska.

Wie kam es zu der Idee, DOC LAB ins Leben zu rufen?

Ich habe mit meiner Frau Katarzyna Ślesicka 15 Jahre lang in einer Filmschule gearbeitet. Kasia war dort lange Zeit Direktorin, und ich Chef des Programmes für Dokus. Wir haben uns auch mit Filmproduktion befasst. Dadurch hatten wir schon lange Jahre mit dem Dokumentarfilmkino zu tun, dabei auch mit Filmen von Künstlern, die sich in einer sehr frühen Phase ihrer Karriere befanden. Es war für uns also natürlich, dass wir uns mit etwas befassen wollten, was wir gut kennen, und was unsere Leidenschaft ist.

Welche Rolle spielt DOC LAB?

Polnische Dokumentarfilme werden auf der Welt sehr geschätzt – und dabei spreche ich nicht nur von der alten Dokumentarfilmschule, sondern auch von neuen Künstlern, die aus ihr hervorgegangen sind. Leena Pasanen, die Leiterin von DOK LEIPZIG scherzt manchmal, dass sie bei sich ein Festival polnischer Filme machen könnte, so viele gute polnische Dokumentarfilme gebe es!

Doch oft fühlen sich junge Dokumentarfilmer, die gerade die Filmschule absolviert haben, und noch am Anfang ihrer Karriere stehen, ein bisschen sich selbst überlassen. Sie haben keinen Ort, an dem sie ihre Arbeit konsultieren könnten, an dem sie gemeinsam besprechen könnten, was gut ist und was geändert werden könnte.

Deshalb haben wir beschlossen, ein Programm ins Leben zu rufen, dass einerseits ein Feld für Konsultationen ist, ein Ort, an dem die besten polnischen Dokumentarfilmer wie beispielsweise Paweł Łoziński, Wojciech Staroń oder Lidia Duda gemeinsam über die Projekte der Teilnehmer sprechen und ihnen Lösungsmöglichkeiten aufzeigen können. Andererseits haben wir uns gewünscht, dass Filme, die sich noch in der Entwicklungsphase befinden, international promotet werden. Wir wollten ihnen auch dabei helfen, Gelder zu finden und Koproduzenten im Ausland, wollten sie dabei unterstützen, an internationale Entscheider heranzukommen, damit diese Filme im Ausland gezeigt werden und dort in den Verleih kommen. Aus der Verbindung dieser Ideen und aus der Liebe zum Dokumentarfilm ist DOC LAB POLAND entstanden, das außer aus Workshops auch noch aus Pitchings besteht, das heißt öffentliche Vorführungen, die während des Krakauer Filmfestivals stattfinden. Dort haben wir zwei Pitchings: DOCS TO START für Projekte, die noch in der Entstehung sind, und DOCS TO GO! für Filme, die bereits geschnitten werden. Nach den Pitchings haben wir eine Serie individueller Treffen. Jeder Teilnehmer hat etwa zwölf bis fünfzehn Gespräche mit entsprechend ausgewählten Gästen, das heißt mit Produzenten, Vertretern von geldgebenden Institutionen, die das weitere Schicksal ihrer Filme beeinflussen können.

Ist DOC LAB das einzige Projekt dieser Art in der polnischen Filmindustrie?

Früher gab es ein ähnliches Programm, das aber internationalen Charakter hatte. Dafür gab es kein Programm, das sich nur auf polnische Projekte konzentriert hätte. Wir sind davon ausgegangen, dass die polnische Dokumentarfilm-Kinematografie so groß ist, dass wir in der Lage sind, jährlich um die zwanzig gute und interessante Projekte zu finden, die unterstützt werden können.

Wer nimmt an den Projekt teil?

DOC LAB ist ein Programm für Profis, das heißt für Leute, die bereits Filme machen. Wir lehren hier keine Grundlagen, sondern sprechen professionell über konkrete Projekte. Dafür müssen die Teilnehmer bereits über Wissen verfügen, und ob sie das aus einer Filmhochschule haben oder es selbst erworben haben, das ist ihre Sache. Wir verlangen keine Diplome, nur eine gewisse Kenntnis des Themas.

Bekommen die Absolventen von Filmhochschulen von dem Programm etwas, was ihnen die Schule nicht mitgegeben hat?

Die Teams bestehen aus Regisseur und Produzent und kommen mit einem ganz konkreten Projekt zu uns, mit einem Projekt, an dem sie schon seit einiger Zeit arbeiten, das sie entwickelt haben, für das sie die ersten Aufnahmen gemacht haben. Auf dieser Etappe helfen ihnen Konsultationen weiter, die sie früher in der Schule hatten, die aber mit dem Schulabgang nicht mehr stattfinden. Sie haben mit dem Schulabgang ihren natürlichen Kreis von wohlgesinnten Hörern verloren. Die Konsultationen hier finden in kritischer, aber wohlwollender Atmosphäre statt, so dass man sich entsprechende Gedanken über die Projekte machen kann.

Wie viele Projekte habt ihr bei den diesjährigen Bewerbungen ausgewählt?

Am Modul DOC LAB START nehmen zwölf Projekte teil, und an DOC LAB GO! sechs. Insgesamt gab es etwa vierzig Bewerbungen. Die Kriterien sind relativ einfach. Gesucht werden Projekte, die nicht nur interessant, sondern auch am weitesten fortgeschritten sind. Projekte, an denen zu sehen ist, dass die Künstler ihre Figuren kennen, dass sie wissen, was sie wollen. Denn dann kann man ihnen wirklich am besten helfen. Was die Gattung betrifft haben wir allerdings keinerlei Anforderungen. Ein Dokumentarfilm kann ebenso gut von Musik wie auch von Sport handeln. Wir stellen uns jedoch auf Filme ein, die von Helden erzählen. Wenn ich „Sport-Doku“ sage, meine ich eine Geschichte, in der wir einen echten, lebendigen Helden sehen. Ein gutes Beispiel ist das Projekt „Furia“ aus dem vergangenen Jahr. Der Film erzählt von einer jungen Frau aus einer Kleinstadt, die ein monotones Leben führt, aber nebenbei polnische Meisterin bei den Amateurwettkämpfen „MMA“ ist. Die fragile, scheinbar zarte Frau besiegte innerhalb eines Jahres alle ihre Mitstreiterinnen, und flog dann nach Las Vegas zu den Weltmeisterschaften. Aber wir als Zuschauer verfolgen nicht ihre Sportkarriere, sondern sie selbst, ihre Probleme, denn die Tatsache, dass sie Sportlerin geworden ist, ist eine Folge ihrer komplizierten Vergangenheit, eine Folge dessen, dass sie früher mit ihrem Leben nicht zurechtgekommen ist. Anstatt zum Psychologen zu gehen, ist sie in die Turnhalle gegangen und hat angefangen zu trainieren. Wir sehen ihre Höhen und Tiefen, und der Sport tritt in den Hintergrund, der zwar sehr dynamisch ist, aber eben nur der Hintergrund.

Was für Filme wählst du am liebsten aus?

Ich persönlich mag besonders Dokumentarfilme mit komischem oder tragisch-komischem Charakter. Wenn wir Leute in Polen fragen, was ein Dokumentarfilm ist, bekommen wir meistens drei Antworten: traurig, schwarz-weiß, verquasselt. Oder sowas wie talking heads. Aber das stimmt gar nicht! Ein Dokumentarfilm kann genauso sein wie ein Spielfilm, mit einer dramatischen Wendung der Ereignisse, die Rührung auslöst, aber auch Lachen. Er kann in seiner Form interessant, manchmal vollkommen abgefahren sein. Im letzten Jahr hatten wir zum Beispiel „Najbrzydszy samochód świata“ [dt. Das hässlichste Auto der Welt], oder „Wieś pływających krów“ [dt. Das Dorf der schwimmenden Kühe] über Neo-Hippies aus Berlin, die nach Polen aufs Land ziehen, irgendwo nach Podlachien, um in der Natur zu sein. Sie sind mit den polnischen Bauern konfrontiert, die sie ansehen, als kämen sie vom Mars, weil sie keine Computer und Handys haben. Und diese Polen reden folgendermaßen über diese Deutschen: „Nutzen die überhaupt Strom? Vielleicht lesen sie gar keine Bücher?“

Was ist eure bisher größte Errungenschaft?

Unser Programm ist noch jung. Es findet erst zum dritten Mal statt, und der Produktionsprozess von Dokumentarfilmen dauert mehrere Jahre, deshalb lässt sich das schwer sagen. Bei der ersten Ausgabe, aber nur beim Pitching, war das der Film von Piotr Stasik „21x Nowy Jork“, der später für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde. Jetzt im Winter lief auf der Berlinale die Prämiere des kurzen Dokumentarfilms „Miss Holocaust“ – der im letzten Jahr teilgenommen hat. Ich will nicht nur einen Film nennen, weil ich viele von ihnen mag, und sehr viele noch in der Produktion sind, oder in der Nachproduktion, deshalb ist hier die Rede von Projekten, die eigentlich noch niemand gesehen hat, die aber enorme Chancen auf Erfolg haben.

Die größte Errungenschaft für uns ist mit Sicherheit, dass wir in so kurzer Zeit ein Programm geschaffen haben, das sich schnell einen Namen gemacht hat, über das man in Fachkreisen sagt, es lohne sich, von ihm Gebrauch zu machen, dass es Teilnehmern verschiedene Vorteile bringt. Das macht uns sehr zufrieden. Aber ohne die Zusammenarbeit mit unserem strategischen Partner, dem Krakauer Filmfestival, hätten wir das bestimmt nicht geschafft.

Katarzyna Karpińska