Offene Grenze – ein Bericht von Mateusz Tofilski
Andere Protagonisten, andere Geschichten, eine andere Sprache. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen der polnischen und deutschen Literatur? Wie werden polnische Autoren in Deutschland rezipiert, und wie deutsche Autoren in Polen? Das ist eine der Fragen, die die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Polen-Deutschland 1:1 – eine parallele Geschichte“, die im Rahmen des diesjährigen Big Book Festival (23.-25. Juni) stattfand, beantworten wollten.
Bereits Ludwig Wittgenstein schrieb, dass die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt bedeuten. Dies bestätigen in gewisser Weise auch manche wissenschaftliche Forschungsarbeiten, die auf die unterschiedliche Wahrnehmung konkreter Elemente der Wirklichkeit in Abhängigkeit von der Sprache, in der sie beschrieben sind, hinweisen. Und obwohl man sagt, dass die Kunst keine Grenzen hat, bilden diese Grenze in der Literatur gerade die Worte, die immer in einem bestimmten Dialekt verwurzelt sind. Hier geht es also nicht um den Pass eines Buchautors, sondern darum, in welcher Sprache er seine Gedanken ausdrückt. Zum Glück ist hier, obwohl Mauern und Stacheldraht Mode sind, die Grenze noch immer offen. Die Größe dieser Offenheit war das grundlegende Gesprächsthema bei dem Festivaltreffen.
Nicht Profit, sondern Stil
Das Thema der deutsch-polnischen Beziehungen in der Literatur ist interessant und wichtig. Insbesondere als der Büchermarkt unserer westlichen Nachbarn noch immer das Fenster zur Welt für polnische Autoren und der erste Schritt zum „gelesen werden“, auch außerhalb der Landesgrenzen, ist. Für deutsche Verleger und deutsche Leser nimmt die polnische Prosa einen recht wichtigen Platz ein, wie es Literatur mit hoher sprachlicher Qualität gebührt. Olaf Kühl, deutscher Autor und Übersetzer polnischer Literatur, sagte, das Interesse an polnischer Literatur bei deutschen Verlagen sei tatsächlich sehr groß. Gleichzeitig sei das grundlegende Motiv hier nicht eine überdurchschnittliche Profitabilität polnischer Bücher in deutscher Übersetzung (in den vergangenen Jahren habe sich nur ein einziges polnisches Buch für einen deutschen Verlag wirtschaftlich ausgezahlt, es sei dies „Schneeweiß und Russenrot“ von Dorota Masłowska gewesen), sondern es sei eher der Qualitätsfaktor ausschlaggebend. Dies hänge auch damit zusammen, dass das Interesse von Verlegern nicht immer einhergehe mit den Interessen der Leser. Als krasses Beispiel könne Kühl hierbei die Biografie von Ryszard Kapuściński anführen: Das Buch „Kapuściński non-fiction“ von Artur Domosławski habe sich in Deutschland lediglich 18 Mal verkauft. Kühl sagte, die Deutschen interessierten sich für Bücher, die von Themen und Geschichten handeln, die sie selbst direkt betreffen. Seiner Meinung nach sei das Universelle des Inhaltes ein großer Vorzug bei Romanen, solle aber mit einer besonderen polnischen Exotik verflochten werden. Schließlich erwarte der deutsche Leser von einem polnischen Autor keine Informationen und Beschreibungen des Alltagslebens in Berlin.
Auf die Frage nach einem Autor der Gegenwart, der diese Erwartungen erfüllt und dessen Schaffen die Leser auf beiden Seiten der deutsch-polnischen Grenze anspricht, nannten Kühl und Magdalena Parys, polnische Autorin, die seit Jahren in Deutschland lebt, einhellig Szczepan Twardoch. Laut Olaf Kühl, der dessen Bücher ins Deutsche übersetzt, seien diese für den deutschen Leser gerade interessant, weil Twardoch die deutsch-polnische Geschichte aus einer neuen Perspektive beschreibe. Aus einer Perspektive, die neu definiert, entmythologisiert, und dadurch interessanter und erfrischender sei. Dies sei einfach ein Beispiel für gute Literatur, die ein wichtiges Thema aufgreift. Wichtig sei es sowohl im universellen als auch im lokalen und persönlichen Sinn.
Mehr Kontakt, besserer Austausch
Magdalena Parys erwähnte noch Bodo Kirchoff als zeitgenössischen deutschen Autor, zu dem eine breitere polnische Öffentlichkeit Zugang haben sollte. Hier ginge es vor allem um seinen letzten Roman „Widerfahrnis“, der 2016 mit dem German Book Prize ausgezeichnet wurde und noch nicht ins Polnische übersetzt ist. Dieses Buch sei, so Parys, eine außergewöhnliche poetische Geschichte über ein älteres Paar, das auf der Flucht vor ihren Problemen nach Italien reist, wo es Flüchtlingen begegnet, die in die entgegengesetzte Richtung wandern. Allein schon aus diesem Grund sollte dieses Buch Pflichtlektüre für jeden Literaturliebhaber sein, auch in Polen.
Das Beispiel Kirchoff und die nicht vorhandene Übersetzung seines Werkes zeigt das wesentliche Problem, nämlich das geringe Interesse an deutscher Literatur in Polen. Bis auf ein paar beliebte Bestsellerautoren werden deutsche Autoren in Polen verhältnismäßig selten übersetzt und herausgegeben. Abgesehen von einer gewissen Liebhaberei mancher deutscher Verleger für Twardoch, Stasiuk oder Huelle, sticht der fehlende literarische und intellektuelle Austausch über die Grenzen ins Auge. Diese Leerstelle wirkt sich mit Sicherheit ungünstig aus, weil jeder Austausch dieser Art eine Erweiterung unserer Perspektive bedeutet. Diese Erweiterung vollzieht sich durch eine andere Geschichte, Kultur, aber auch durch die Sprache, die – so die Diskussionsteilnehmer – das Denken und dadurch den Schreibstil und die Metaphern verändert. Allein aus diesem Grund eröffne das Lesen deutscher und jeder anderen fremdsprachlichen Literatur sowie der Vergleich mit der polnischen Literatur mit Sicherheit neue Horizonte, und zwar nicht nur literarische.
Mateusz Tofilski