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Vom Gerücht zum Verbrechen. Wie schützt man sich vor verbaler Gewalt? – ein Bericht von Katarzyna Karpińska

Was bedeutet postfaktisch? Wie führt Hassrede zu physischer Gewalt? Was haben das Westdeutschland der siebziger Jahre und das gegenwärtige Polen gemeinsam? Antworten auf diese Fragen versuchten die Teilnehmer der Diskussionsrunde „Die Sprache der Verachtung und alternative Fakten, oder die mediale und gesellschaftliche Verantwortung für Sprache“ zu geben, die von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit veranstaltet wurde.

Anlässlich der Vorführung des Films „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ während des 23. Festiwals „Wiosna Filmów“ (Filmfrühling) fand eine Diskussion über Hassrede und die gesellschaftliche Verantwortung für Sprache statt. Der Film von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotty erzählt die Geschichte eines Individuums, das von einem skrupellosen System und von medialer Gewalt kaputt gemacht wird. Durch das unschuldige Aufeinandertreffen von Umständen kommt es dazu, dass die Titelheldin beschuldigt wird, Kontakte zu einem von der Polizei gesuchten Verbrecher zu haben. Doch als belastender als die Ermittlungen selbst erweist sich das Interesse der Presse. Das unethische Vorgehen eines Journalisten ruiniert das Leben der Katharina und bringt sie dazu, endgültige Entscheidungen zu treffen. Der Film ist eine Adaption der Erzählung von Heinrich Böll „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“.

Roman Kurkiewicz, Moderator des Gesprächs, wies darauf hin, dass Schlöndorffs und von Trottys Film zu Beginn der siebziger Jahre entstanden war, als es in Deutschland eine Form der Gewalt gab, die eng mit dem Charakter der damaligen Medien zusammenhing. Denn damals habe die Tageszeitung „Bild“, die einen schlechten Ruf habe, unter der Maßgabe der Meinungsfreiheit der Medien Missbrauch betrieben.

Im Vorwort seines Textes schreibt Heinrich Böll: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“

Die Bild-Zeitung spielte damals in Deutschland eine recht eindeutige Rolle. Sie war klar gegen Studenten und gegen die Linke eingestellt, und das in einer Zeit, als die junge Generation der Deutschen von ihren Eltern verlangte, die Kriegsvergangenheit aufzuarbeiten. Deren Frustration kam zum Großteil von der Tatsache, dass die Anwesenheit von ehemaligen Nazis im öffentlichen Leben vollkommen totgeschwiegen wurde. Einer der Hauptvertreter dieser Bewegung war Rudi Dutschke, ein linker Aktivist, der sich für die Studentenproteste einsetzte. Dutschke wurde zum Ziel von Angriffen in der Presse, und die breit angelegte Kampagne gegen ihn führte im Endeffekt zum Attentat auf ihn.

Die damaligen Praktiken der Bild-Zeitung erinnerten an das, was heute Hassrede genannt wird. Obwohl sich mit der fortschreitenden technologischen Revolution das Ausmaß dieses Phänomens verändert hat, waren die Konsequenzen, die aus verbaler Gewalt folgten, von Anfang an ebenso bitter.

Kurkiewicz wies darauf hin, dass in Zeiten, da die Medien zu einer Industrie werden, die Information zu einer Ware wird, für die Handelsregelungen gelten, wodurch Kategorien wie Mission oder der bewusste Umgang mit Informationsvermittlung von Medien verwaschen werden. Wer also trägt die Verantwortung für die Verifikation von Informationen? Die Medien oder die Leser?

Magdalena Chrzczonowicz, Vertreterin des Portals OKO.press, wies auf die Tatsache hin, dass in heutigen Zeiten praktisch jeder in der Lage sei, Informationen zu produzieren, die Vielfalt von Informationen sei jedoch in diesem Falle ein falscher Wert, denn sie vermittle, dass es keine Wahrheit gebe. Dadurch gerieten wir in die Falle des Postfaktischen, da uns von allen Seiten Informationen umgeben, die von Emotionen diktiert sind, die häufig nicht in Tatsachen verankert sind. Nutzer von sozialen Medien produzieren täglich sogenannte fake news, und die Idee von der Verantwortung für die eigenen Worte wird immer zweifelhafter. Deshalb müssen sich die Leser selbst daran machen, Informationen zu überprüfen. Nur wenn man skeptisch an veröffentlichte Informationen herangeht und sich nicht von ihnen in die Irre führen lässt, kann sich etwas verändern.

Auch die Opfer solcher Praktiken dürfen nicht vergessen werden. Joanna Grabarczyk, Aktivistin der Aktion „HejtStop“ (HassredeStop) und Jan Świerszcz, Aktivist der Kampania Przeciw Homofobii (Kampagne gegen Homophobie), stellten die Situation von Personen dar, die von einer Hassrede im Internet geschädigt wurden. Gleich zu Beginn sprach Grabarczyk davon, dass ein Individuum nicht in der Lage sei, sich allein gegen verbale Gewalt zu schützen, deren Reichweite im Internet enorm ist. In diesem Fall müssten sich alle verantwortlich fühlen und unrechtmäßige Inhalte den Administratoren melden. Entgegen dem Anschein ist im Internet niemand namenlos, das heißt, dass jede Reaktion die Chance auf Erfolg hat.

In Polen sind nicht nur Einzelpersonen Opfer von verbaler Gewalt. Jan Świerszcz arbeitet mit Gruppen, die als Minderheiten Diskriminierungen ausgesetzt sind. Er nannte als häufigsten Grund für Diskrimminierung andere Hautfarben, andere sexuelle Orientierung, Herkunft und Religionszugehörigkeit.

Jeder, der Zeuge derartiger Gewalt wird, sollte so schnell wie möglich reagieren, insbesondere, als Opfer sehr oft das Verbrechen nicht der Polizei melden können oder wollen, und die jeweils zuständigen Behörden nicht angemessen reagieren.

Auch unter dem Publikum, das die Diskussion verfolgte, gab es kritische Stimmen. Sie betrafen beispielsweise die sexistischen Kommentare, die unter polnischen Internetusern so verbreitet seien. Es zeigte sich, dass in diesem Falle eine Reaktion ebenfalls durchaus Folgen haben kann. Die Mehrheit der sozialen Portale funktioniere nach amerikanischen Gesetzen, wo sexistische Kommentare, im Gegensatz zu Polen, als Vergehen gelten, was die These untermauert, dass alle die Verantwortung für Inhalte, die im Internet präsent sind, übernehmen sollten, und dass jedes strafbare Verhalten schnellstmöglich den entsprechenden Institutionen gemeldet werden sollte.

Die Diskussionsteilnehmer betonten auch, dass im Laufe der Jahre die Zahl der der Staatsanwaltschaft gemeldeten Hass-Vergehen gestiegen seien, was einerseits mit der wachsenden Zahl dieser Vorkommnisse zusammenhänge, andererseits aber der wirksamen Arbeit von Organisationen wie HejtStop zu verdanken sei. Jeder, der verbale Gewalt erfährt, oder ihr Zeuge wird, darf beunruhigende Inhalte in einem Portal melden; es genügt, den Link anzugeben, oder – im Falle von Hassrede im städtischen Raum – den Ort oder ein Foto. Dann melden die Mitarbeiter des Vereins selbst alle Fälle von Gewalt den Ermittlungsorganen. Die Arbeit der polnischen Gerichtsbarkeit weicht entschieden vom Ideal ab, aber gerade das wachsende Bewusstsein und die entschlossenen Reaktionen der Gesellschaft können einen Impuls geben für Veränderungen.

Die Vielfalt der Themen, die während der Diskussion aufgegriffen wurden, und die zahlreichen Wortmeldungen aus dem Publikum haben bewiesen, dass es sich bei der Hassrede derzeit um ein sehr verbreitetes Phänomen handelt, das, selbst wenn es lediglich im Internet auftritt, das Alltagsleben stark beeinflusst. Daher auch die Schlussfolgerung, dass nur der aktive Widerspruch seitens der Gesellschaft zur Verbesserung der Situation führen kann.

Katarzyna Karpińska