drucken

Den Vergessenen gedenken – Polens Beitrag zum Sieg über den Nationalsozialismus

Warum ist der Beitrag Polens in der Bezwingung des Dritten Reiches im öffentlichen Bewusstsein westlicher Staaten nur unzureichend bekannt? Auf diese und andere Fragen haben die Teilnehmenden der Online-Diskussion zum Thema „Der Vergessene Alliierte? Polen an den Fronten des Zweiten Weltkriegs“ Antworten gesucht.

„Die Mitglieder der Heimat Armee (Armia Krajowa) waren eine beachtliche Streitkraft und haben den Westen früh mit Informationen über den Holocaust beliefert. Auch ist es gelungen, die polnische Staatlichkeit nicht nur auf dem Papier aufrechtzuerhalten. Daher ist es wichtig, daran zu erinnern, dass der Beitrag Polen zum Sieg nicht nur symbolischer Natur, sondern ein aktiver war“, betonte der deutsche Historiker Jochen Böhler während der zweistündigen Debatte, die am Vortag des 75. Jahrestages des Kriegsendes, am 7. Mai 2020, stattfand. In ihren Redebeiträgen konzentrierten sich die Experten jedoch nicht so sehr darauf, die Taten und Leistungen der Polen darzustellen, sondern beleuchteten die Ursachen der „Amnesie“, die in den westlichen Staaten nach dem Krieg herrschte und wodurch der militärische Einsatz polnischer Soldaten so lange in Vergessenheit geriet.

Viele Ursachen, eine Konsequenz

„30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, da wir mittlerweile ausschließlich von demokratischen Staaten umgeben sind, müssen wir diese genauer kennenlernen, vor allem ihre Geschichte“, plädierte Markus Meckel, Außenminister a.D. und Ko-Vorsitzender des Stiftungsrates der SdpZ. Vor diesem Hintergrund seien Debatten wie diese, die Herr Meckel initiiert hatte, seiner Meinung nach sinnvoll und notwendig. Es sei vielen Ostdeutschen nicht bewusst, welche Rolle Polen beim Sieg über den Totalitarismus gespielt haben, weil solche Themen aus politischen Gründen in der Schule verschwiegen wurden. Einen anderen Grund für das Vergessen in Deutschland brachte Jochen Böhler zur Sprache: Man hat sich nicht an die Polen erinnert, weil diese nach dem Krieg auf internationaler Ebene keine wichtige Rolle gespielt hätten. Die Aufmerksamkeit der Regierenden wie auch der Bevölkerung galt den Siegermächten, die über Gestalt und Zukunft des Landes entscheiden sollten.  

Ein wesentlicher Aspekt, dem die Gesprächspartner viel Raum gaben, betraf die nach dem Kriegsende verschiedenen Orts abgehaltenen Siegesparaden, die die Haltung der Großen Dreien zu den Polen widerspiegelten. Die größte Kontroverse entspann sich rundum die Siegesparade in London, an der aufgrund einer Verkettung verschiedener Umstände keine polnische Kriegsveteranen teilnahmen – weder jene, die in den Armeen der westlichen Alliierten gekämpft hatten, noch jene, die die Reihen der Roten Armee verstärkt hatten. „Zu der Siegesparade wurden keine Vertreter der polnischen Exilregierung eingeladen, weil damals bereits Clement Attlee Premierminister Großbritanniens war, dem viel an einem guten Verhältnis zu Stalin lag. Dagegen erhob sich großer Protest seitens Winston Churchill und vieler anderer Parlamentsabgeordneten“, erläuterte die kanadische Historikerin Alexandra Richie. Obwohl die Kriegsveteranen aus den USA und Großbritannien ihre Kameraden, die polnischen Soldaten, mit denen sie Seite an Seite gekämpft hatten, sehr geschätzt hätten, seien die Polen in ihrer Rolle als Verbündete innerhalb der Gesellschaften des Westens infolge politischer Abwägungen für lange Zeit vergessen worden.

Schließlich widmete man sich noch einem weiteren Aspekt - den in Vergessenheit geratenen militärischen Anstrengungen der Polen im eigenen (besetzten) Land, das noch bis 1989 von der Sowjetunion abhängig blieb. Professor Jacek Młynarczyk von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn erinnerte daran, dass die Rolle der Polnischen Streitkräfte durch die im kommunistischen System herrschende Zensur verschwiegen wurde, während viele Veteranen nach Rückkehr in die Heimat aus politischen Gründen verfolgt wurden. Erst nach dem Ende der Volksrepublik Polen konnte man sich über diese Themen öffentlich äußern, sie aufarbeiten und die jeweils amtierenden polnischen Regierungen begannen, auch auf offizieller Ebene gegenüber den Staaten des Westens den vergessenen Alliierten in Erinnerung zu rufen. Dies war bis zur Wende von 1989 nicht erfolgt.

Es wird immer besser

Nach den Wortbeiträgen der geladenen Experten wurde die Diskussion für Fragen seitens des Online-Publikums geöffnet, das durchgehend aus ca. 80 Personen bestand. Dabei wurden u.a. die Problematik der in die Wehrmacht berufenen Polen sowie das Schicksal der Familien aufgegriffen, denen bei Fahnenflucht Verfolgung drohte. Professor Młynarczyk ging darauf ein und meinte, es handele sich um ein vielschichtiges Thema, das nicht nur die Einberufung in die Wehrmacht und die sog. Volksliste betreffe, sondern auch die komplizierte Frage nach der schlesischen und kaschubischen Identität. Er fügte hinzu, dass sich einige der Einberufenen später auf unterschiedlichem Wege der polnischen Armee an der Westfront anschlossen und bei ihrer Rückkehr in die Heimat nach 1945 mit Repressionen durch die kommunistischen Machthaber rechnen mussten. Aus dem Publikum wurde auch der Vorwurf eingebracht, dass die Polen selbst an dem allgemeinen Vergessen Schuld seien, da auch nach 1989 nur wenig über das Ausmaß ihrer militärischen Beteiligung am Kriegsgeschehen gesprochen worden sei. Alexandra Richie entgegnete, dass dieser Umstand neben der vor 1989 zum Stillschweigen zwingenden Zensur damit zu erklären sie, dass man gewisse Episoden aus dem Krieg, die Polen in ein schlechtes Licht stellten, lieber verschweigen wollte.

„Wie schätzen Sie die Gefahr und Folgen revisionistischer Angriffe gegen Polen ein, die aktuell aus Russland kommen, und halten Sie die Reaktionen vonseiten westlicher Regierungen für ausreichend?” – eine Frage, auf die Alexandra Richie antwortete und deutlich wurde: „Putin versucht, die Schuld für den Kriegsausbruch auf Polen abzuwälzen, was ein sehr gefährliches Spiel darstellt. Wie sollen wir damit umgehen? Wir können weiterhin historische Forschungen anstellen, darüber diskutieren, auf die Quellen verweisen. Künstler*innen und Wissenschaftler*innen können zur Wissensvermittlung beitragen, da es die historische Wahrheit war, für die auch die Alliierten kämpften“.

„Mir scheint, dass sich die Geschichtspolitik Deutschlands im Hinblick auf Polen in den letzten Jahren zum Positiven hin gewandelt hat, auch wenn es um die in der Debatte behandelten Themen geht“, schrieb eine seit 10 Jahren in Berlin lebende Polin im Publikumschat. Markus Meckel ging darauf ein und meinte, solch eine Haltung trüge dazu bei, die Bestimmungen des Lissaboner Vertrages zu erfüllen, und es sei gut, die Debatte mit diesem positiven Akzent zu beschließen.

Geschichtsverfälschungen bekämpfen – aber wie?

Der wichtigste Mehrwert dieser Debatte ist darin zu sehen, dass man sich nicht auf die weitgehend bekannten Fakten wie die Schlachten an den Fronten oder den Widerstand im Untergrund fokussierte, sondern diese historischen Tatsachen im Zusammenhang mit der Frage, warum der Westen einen seiner Verbündeten vergessen hat, diskutierte. Meiner Meinung nach haben die Teilnehmenden die Faktoren, die dazu geführt haben, treffend und nachvollziehbar dargelegt. Und jetzt, da wir die Ursachen für die „Amnesie“ kennen, können wir effektiver gegen sie vorgehen. 

Wozu brauchen wir dieses Wissen? Von Zeit zu Zeit sehen sich die Polen mit Angriffen auf internationaler Ebene konfrontiert, bei denen ihnen gewisse negative Haltungen während des Krieges vorgehalten oder sie gar für dessen Ausbruch verantwortlich werden. Diese Herausforderung brachte eine Zuschauerin auch in die Debatte ein. Um solche Angriffe und Geschichtsverfälschungen abzuwehren, ist das Wissen über historische Tatsachen sowie das Verständnis für gewisse politische Prozesse unabdingbar, wozu Diskussionen wesentlich beitragen.

Przemysław Żołneczko