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Kalendarium

Konvergenzen und Divergenzen. Die Moderne jenseits von Ost und West

16 November 2023 - 18 November 2023 9:00 Berlin, Pariser Platz 4A, 10117 Berlin

Konvergenzen und Divergenzen. Die Moderne jenseits von Ost und West Die Konferenz betrachtet die Geschichte der modernen Architektur aus einer horizontalen und nicht-hierarchischen Perspektive und versucht, überholte und vereinfachende Kategorien wie Ost und West in Frage zu stellen. Ihr Fokus liegt nicht nur auf Gestaltung und Stadtplanung, sondern auch auf Fragen im Zusammenhang mit der Transformation von Gesellschaften, dem Austausch von Ideen, dem Aufbau von Beziehungen zwischen Menschen oder dem Kampf für eine bessere Zukunft. Die Architektur wird dabei aus einer breiteren Perspektive behandelt: als „Seismograph“ der visionären und zugleich ambivalenten Erfahrung der Moderne, deren Bedeutung nicht nur aus historischer, sondern auch aus heutiger Perspektive beleuchtet werden soll. Zu lange haben theoretische und politische Konstrukte zu einer territorialen oder thematischen Marginalisierung Mittel- und Osteuropas in der europäischen Architekturhistoriographie beigetragen. Im Gegensatz dazu will die Konferenz, die Dynamiken zwischen den politischen, geographischen und kulturellen Grenzen Europas im 20. und 21. Jahrhundert und darüber hinaus genauer unter die Lupe nehmen. Ziel ist es, nicht nur die Unterschiede zu analysieren, sondern auch eine Geschichte der Verbindungen in der modernen Architektur zu schreiben, wobei mehrere Maßstäbe und Herangehensweisen zur Anwendung kommen: die Konzentration auf Zeitrahmen und Meilensteine; die Erkundung von Städten, Regionen und Grenzen, an denen Geschichten und Erinnerungen aufeinandertreffen; die Untersuchung von Architektur aus der Perspektive individueller Geschichten, die sich hinter einzelnen Schicksalen oder bestimmten architektonischen Objekten und Ideen der Moderne verbergen. Die Aufforderung zur Einreichung von Beiträgen zielt darauf ab, unterschiedliche Perspektiven und Disziplinen von Forschenden, Architekturschaffenden, Designer:innen, Architekturhistoriker:innen, Stadtplanenden und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenzubringen. Das Hauptziel ist, das Erbe der Moderne und die damit verbundenen Transformationen in Mittel- und Osteuropa im Kontext internationaler Beziehungen, Abhängigkeiten, Einfluss und Macht, kritisch zu hinterfragen. Die Konferenz wird in Zusammenarbeit mit der Initiative für eine „Europäische Triennale der Moderne (ETOM)“ organisiert und baut auf den fünfjährigen Erfahrungen des Programms „Exercising Modernity“. Im Rahmen des Programms wird ein interdisziplinärer intellektueller Austausch über Kunst und Architektur im weiteren Sinne geführt. Untersucht wird dabei, wie sich Ideen der Moderne in verschiedenen sozialen und politischen Bereichen widerspiegeln. Das Konferenzprogramm gliedert sich in die folgenden fünf Themenbereiche: 1. UMSTRITTENES ARCHITEKTONISCHES ERBE IN MITTEL- UND OSTEUROPA Objekte, Orte oder Typologien, die eine kompromittierte oder ambivalente Geschichte aufweisen, werden oft zum umstrittenen, schwierigen oder problematischen Erbe. Diese Begriffe versuchen, die soziale Resonanz oder die Verantwortung für unser kulturelles Erbe zu erfassen. Oft führt es dann dazu, dass dieses Erbe von der gesellschaftlichen Verbreitung und Wertschätzung ausgeschlossen wird. Aus heutiger Sicht handelt es sich um eine schmachvolle oder schmerzhafte Vergangenheit, die erfolgreich bewältigt wurde. Sowohl die Ablehnung eines Teils der Vergangenheit als auch die Vernachlässigung ihrer Pflege können jedoch zu einem allmählichen Verfall führen oder sogar aktive Prozesse der ästhetischen Abwertung oder faktischen Zerstörung in Gang setzen. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass ein solches Erbe von einer Mehrheitsgesellschaft, einer bestimmten Gruppe oder den politischen Machthabern als ungeeignet für eine positive, verbindende Geschichte über sich selbst angesehen oder als „fremd“ wahrgenommen wird. Diese Sektion der Aufforderung zur Einreichung von Beiträgen fragt nach Beispielen für das ambivalente Erbe sowie nach zeitgenössischen soziokulturellen Praktiken im Umgang damit – insbesondere im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen uns die postsowjetischen Spuren in der modernen Architektur in Mittel- und Osteuropa stellen. 2. EISERNER VORHANG (EISERNE VORHÄNGE) DES 20. JAHRHUNDERTS. MODERNE JENSEITS DER OST-WEST-BINARITÄT Diese Sektion untersucht die Rezeption und Migration von Designs und Ideen über die verschiedenen Trennlinien des Eisernen Vorhangs. Dabei geht es nicht um eine Einbahnstraße vom Zentrum zur Peripherie, sondern um eine sich bewegende Karte, eine ‚Moving-Map‘. Die Vektoren des Austauschs zwischen West und Ost sind in verschiedene Richtungen ausgerichtet. Hier geht es darum, einseitige oder vertikale architekturgeschichtliche Narrative, die oft auf dem Prinzip der Unterordnung der mittel- und osteuropäischen Architektur beruhen, in Frage zu stellen. Ziel dieses Panels ist, nicht zusammenhängende Geschichten und unbekannte Biografien nachzuzeichnen. Besondere Aufmerksamkeit wird der Frage gewidmet, wie ideologische und geopolitische Gräben und Spannungen die Trennlinien zwischen den Vorstellungen über die ost- und westeuropäische Moderne verstärkt haben. Wie haben sie dazu beigetragen, dass bestimmte Narrative, Gestaltungsprinzipien und individuelle Geschichten unterdrückt oder vernachlässigt wurden? Wie können ideologisch motivierte Zuspitzungen den Ideentransfer behindert oder neu kanalisiert haben? Bei der Aufforderung zur Einreichung von Beiträgen wird nach Beispielen für Biografien oder Aktivitäten gesucht, die trotz politischer oder ideologischer Barrieren den Austausch von Ideen und Konzepten zwischen Ost und West oder West und Ost erleichtert haben – mit besonderem Augenmerk auf die Länder Mittel- und Osteuropas sowie auf Ost- und Westdeutschland. 3. GEBAUTE NARRATIVE. VIELSCHICHTIGE IDENTITÄTEN DER MODERNEN ARCHITEKTUR Das architektonische Erbe wird oft dazu genutzt, um Geschichten über eine bestimmte Version der Vergangenheit zu erzählen. In geografischen und kulturellen Gebieten, in denen mehrere Gruppen zusammenlebten und sich verschiedene politische Sphären überlappten, kann das bauliche Erbe aus zahlreichen historischen Schichten bestehen und Zeuge vieler bewusster ästhetischer Umgestaltungen sein. Aus verschiedenen Gründen sind diese nicht gleichermaßen sichtbar – oder wurden nicht sichtbar gemacht. In der Aufforderung zum Einreichen von Beiträgen suchen wir nach Beispielen für Architekturerbe, die von einer multikulturellen und mehrsprachigen Geschichte zeugen, sowie nach Beispielen für erfolgreiche Politiken und Praktiken. Wie kann Pluralität geschützt werden, durch Storytelling, Aktivismus und künstlerische Intervention ausgedrückt und zugänglich gemacht werden? 4. GEMEINSAMES ERBE. BERÜHRUNGSPUNKTE UND BEWÄHRTE PRAKTIKEN Der Begriff des gemeinsamen baulichen Erbes enthüllt die verborgenen Netzwerke und das Potenzial für die gemeinsame Nutzung der (architektonischen) Geschichte durch verschiedene Gemeinschaften, Nationen, Regionen und Länder. Andererseits ist aber dieses Konzept eine Quelle und Risiko von neuen Spannungen zugleich, so dass die gemeinsame oder vertiefte Erforschung manchmal vernachlässigt wird. Diese Sektion ist Strategien gewidmet, die die Öffentlichkeit, lokale Gemeinschaften, Behörden und Fachleute für die Bedeutung der gemeinsamen modernen Geschichte sensibilisieren sollen. Dazu gehören gleiche oder ähnliche Leitprinzipien, Ursprünge, Merkmale und Gestaltungselemente der modernen Architektur in Mittel- und Osteuropa. Im Rahmen des Aufrufs zur Einreichung von Beiträgen werden Beispiele für die Revitalisierung, Sanierung, Erhaltung, Dokumentation, Kommunikation und Verwaltung des gemeinsamen architektonischen Erbes unter besonderer Berücksichtigung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren gesucht. 5. NEUE GEMEINSCHAFTEN, NEUE GEBÄUDE, NEUE MENSCHEN: DER BEGRIFF DES „NEUEN“ IN DER MODERNEN ARCHITEKTUR MITTEL- UND OSTEUROPAS Der Wohnungsbau ist ein wichtiger Teil der Architekturgeschichte, aber er spielt auch eine große Rolle in der Geschichte der politischen, sozialen und räumlichen Veränderungen einer bestimmten Epoche. Insbesondere wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Idee der Sozial- und Kommunalwohnungen als „neu“ bezeichnet, sie begann jedoch damals, die Städte und das Leben der Gemeinschaften in verschiedenen Teilen des Kontinents zu prägen. Wie hat sich diese Idee in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Ost und West entwickelt? Das Panel konzentriert sich auf Zentren des Wandels, die aufgrund ihrer politischen Geschichte, der Grenzverschiebungen, Migrationen und Exilkulturen unterschiedliche Entwicklungen und Schichten aufweisen. Untersucht werden individuelle Spuren, gemeinsame Modelle und Unterschiede, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Anhand ausgewählter Fallstudien werden in dieser Sektion Beispiele aus multikulturellen Städten wie Berlin, Prag, Charkiw, Kiew, Warschau, Tallinn und Vilnius diskutiert. Von besonderem Interesse sind markante Beispiele moderner Wohnsiedlungen, bei denen die ursprünglichen Ideen mit der heutigen Situation und den aktuellen Herausforderungen konfrontiert werden können. Veranstaltungsort Pilecki-Institut Berlin, Pariser-Platz 4a, 10117 Berlin Kontakt contact@exercisingmodernity.com Veranstalter Pilecki-Institut Berlin / Exercising Modernity Kooperation ETOM und TDM-Berlin BHROX bauhaus reuse / zukunftsgeraeusche GbR (BHROX / zkg) buschfeld.com (bcom) Partner Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit Über Exercising Modernity Exercising Modernity ist ein Programm des intellektuellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Austauschs, das einen interdisziplinären Ansatz verfolgt, um das Erbe der polnischen Moderne im Kontext von Modernisierungsprozessen, Kunst und Architektur zu erörtern. Ziel des Programms ist, die Geschichte Polens – und im weiteren Sinne Mittel- und Osteuropas – durch das Prisma von Kunst, Architektur und Design zu betrachten und diese Perspektiven in eine Narration über das Europa im 20. Jahrhundert zu integrieren. Das Programm versucht insbesondere, historische Reflexion mit Fragen zu verbinden, die zum Verständnis der Gegenwart beitragen. Es handelt sich dabei um ihre geopolitischen Kontexte, ihr schwieriges – manchmal als „problembeladen“ bezeichnetes – Erbe, ihre Beziehung zum Alltag und ihre besondere Bedeutung für die Gestaltung von Erinnerung und Identität, um auf diese Weise eine andere Betrachtung der Geschichte zu ermöglichen. Exercising Modernity zielt darauf ab, eine breitere und umfassendere Perspektive von dem, was unter Mittel- und Osteuropa verstanden wird, zu skizzieren, ein besseres Verständnis für die Ereignisse, Veränderungen und Prozesse, die die Spaltung zwischen Ost und West geprägt haben, zu ermöglichen. Das Programm wird vom Pilecki-Institut Berlin durchgeführt. Über ETOM. Die Europäische Triennale der Moderne Die ETOM-Initiative bildet eine gemeinsam konzipierte und gestaltete Plattform für die transeuropäische Moderne und organisiert ein dezentrales Festival, das alle drei Jahre wieder stattfindet. ETOM knüpft an das Festival „Triennale der Moderne“ (TDM) in Berlin, Dessau und Weimar an, dessen vierte Ausgabe 2022 stattfand. Die Initiative wurde während der Pandemie 2021 „von unten nach oben“ ins Leben gerufen. Sie hat bereits 38 Partner aus 14 Ländern zusammengebracht. Die Partner haben einen heterogenen und sektorübergreifenden Hintergrund, zu ihnen gehören neun offizielle NEB-Partner. Die Initiative wurde von den Berliner TDM-Kuratoren zusammen mit Partnern aus ganz Mitteleuropa gestartet. Sie basiert auf einem erst entstehenden Netzwerk aus Partnern des transnationalen „re:bauhaus“-Festivals 2019 sowie DOCOMOMO, ICOMOS und der NEB-Gemeinschaft. Unter dem Motto „Diverse Modernism | Modern Diversity“ befasst sich die ETOM-Initiative sowohl mit dem Erbe der Moderne als auch mit ihren Zukunftsperspektiven in Bezug auf das bauliche Erbe und die Geschichte der modernen Ideen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und Resilienz moderner Werte wie gesellschaftliche Emanzipation, soziale Gleichheit und demokratische Teilhabe gelegt wird. ETOM ist ein zirkuläres Ökosystem, das auf einem wiederkehrenden Dreijahreszyklus basiert. Das System basiert auf einem kontinuierlichen, sektorenübergreifenden Kapazitätsaufbau und transdisziplinärem gemeinsamen Schaffen, das in dem alle drei Jahre stattfindenden ETOM-Festival seinen Höhepunkt erreicht. Das Festival dient nicht nur der öffentlichen Präsentation, sondern ist auch Ziel und Ausgangspunkt des Prozesses. In einer Dreieckskooperation zwischen ETOM und den internationalen, weit vernetzten Organisationen DOCOMOMO und ICOMOS wurde die strategische Initiative „Triangle for Modernism“ ins Leben gerufen. Die ETOM-Initiative hat von Anfang an ein besonderes Augenmerk auf Mittel- und Osteuropa, seine Bedeutung und seine wichtige Rolle für die Sicherung der europäischen Einheit und kulturellen Resilienz sowie für die Überwindung der immer noch bestehenden, aber überholten Ost-West-Teilung gelegt. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine macht deutlich, wie wichtig Mitteleuropa für den europäischen Zusammenhalt, der unter anderem auf kultureller Zusammenarbeit und gemeinsamen modernen Werten beruhen sollte, ist.

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