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Kalendarium

Stadt und Maschine [LODZ]

29 September 2011 - 2 Oktober 2011

Die Entstehung der Industriestädte und Industriegebiete im 19. Jht. hat das Bild des urbanen Raums an vielen Orten des Globus weitgehend transformiert. Verändert haben sich nicht nur Maßstäbe der Stadtplanung und Stadtarchitektur, das Lebenstempo und der Typus der Städter - mit den Ballungszentren der beschleunigten Menschen- und Ökonomieströme kam es zu einer Verschiebung der politischen und geographischen Koordinaten Peripherie/Zentrum, zu Neukodierungen im Bereich der Ästhetik wie auch der Ethik, im Endeffekt zu einer Zuspitzung der zentralen kulturphilosophischen Dilemmata der Moderne. Boomende Industriegebiete wurden zu Seismographen der soziologischen, kulturellen und philosophischen Konzepte, die woanders formuliert wurden, und zugleich initiierten sie eigene Denk- und Handlungsräume von spezifischer lokaler Prägung. Dies fand seinen Niederschlag in der Herausbildung einer Rand- bzw. alternativen Kultur, bekannt als „Industriekultur".

Mit der jeweils unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Entwicklung der Industriestädte im 20. Jht. (Birmingham, Lodz, New York, Essen, Lille u.a.) kam es zur Etablierung eines visuellen und mentalen Codes - mit dem Begriff „industriell" wird heute ein Typus der Architektur und der Organisation des urbanen Raumes herbeigerufen, aber auch eine Herstellungsmethode („industrielle Produktion"), eine Kunst- und Musiksparte („Industrial") und nicht zuletzt eine Reihe von Subkulturen (Techno, Electro, Industrial Metal etc.). Über diesen „industriellen Code" mit seinen unterschiedlichen Markierungen üben Industriestädte in der postindustriellen Ära einen bedeutenden Einfluss auf solche Kultursparten wie Literatur, Theater, Film und Comic aus. In Folge der historischen und gesellschaftlichen Umwälzungen nach dem Fall der Mauer sowie durch die fortschreitende inneneuropäische Integration wurden manche Fragen, die einst durch den industriellen Boom hervorgebracht wurden, wieder virulent. Phänomene wie Migration und Multikulturalität geraten erneut ins Zentrum der Debatten um die zukünftige Gestalt Europas, dabei bleibt der Binarismus global/lokal bzw. Zentrum/Peripherie angesichts der Expandierung des globalen Marktes ein brisantes Thema.

In den Geisteswissenschaften haben sich innerhalb der letzten Jahrzehnte interdisziplinäre Theorieansätze entwickelt, die einen produktiven Zugang zum Problem der Industriekulturen ermöglichen - zwei davon sind für die geplante Tagung von besonderer Relevanz. New Historicism hat im Anschluss an die Diskursanalyse Literatur als einen „Resonanzraum" der Diskurse der jeweiligen Zeit neu definiert und damit eine handfeste Grundlage für interpretatorische Verflechtungen zwischen Literatur und Sozialgeschichte geschaffen, in denen Texte parallel zu ihren Entstehungs- und Bedingungskontexten gelesen werden. Spatial turn hat mit dem viel zitierten Diktum „Im Raum lesen wir die Zeit" (F. Ratzel) den Blick auf Raumsemantiken und damit den Fokus auf spezifische Verortung der geschriebenen Literatur und der produzierten Kultur gerichtet.

In diesem Sinn laden wir zu Themenvorschlägen für Referate zu folgenden interdisziplinären Schwerpunkten ein:

- Literarische Auseinandersetzung mit Industriemetropolen seit dem 19. Jht.
- Topik der Mobilität im Kontext der Industriekulturen in Literatur, Theater und Film seit dem 19. Jht.
- Verschiebungen auf der Ebene local/global in Darstellungen (post)industrieller Städte/ Gebiete
- Konzeptualisierungen der Industriegebiete in postmoderner Reiseliteratur
- Mediale Repräsentationen der industriellen und postindustriellen Raumerfahrung (Literatur, Theater, Film, Comic, bildende Künste, Architektur, neue Medien)
- Städte der Zukunft - futurologische Stadtkonzepte diesseits/jenseits der Industrielandschaft
- Natur im postindustriellen Zeitalter - Perspektiven der Ökoliteratur

Ort: Lodz (Łódź) | Termin: 29.9. - 2.10.2011 | link

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