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Jahresberichte

Jahresbericht 2010

Glück gehabt! Der Jahresbericht der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit erscheint zum 19. Mal und das auf Deutsch und Polnisch. Das heißt, jeder der sich ein wenig für die rund 700 Projekte und Eigenprojekte interessiert, die im letzten Jahr von uns gefördert bzw. realisiert worden sind, kann sich im vorliegenden Bericht darüber informieren.

Dass Wissen und Unterhaltung auch im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts über Ländergrenzen hinweg zugänglich sind, also Sprachgrenzen spielend überwunden werden, ist gar nicht so selbstverständlich, wie man meint. Tatsächlich steht nur ein kleiner Prozentsatz der Publikationen unserer europäischen Nachbarländer Deutschen und Polen in Übersetzung zur Verfügung. Und schon sind wir mitten in media res eines unserer Kooperationsprojekte und zwar im „Kulturreport: Fortschritt Europa“ (S. 35). Dieser erschien 2010 erneut als gemeinsames Projekt der Stiftung für deutschpolnische Zusammenarbeit, des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), der Robert Bosch Stiftung und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und das nicht nur auf Deutsch, Französisch und Englisch, sondern dank unseres Engagements auch zum dritten Mal auf Polnisch. Während der erste Band im Jahr 2007 einen Gesamtüberblick über den Stand der europäischen Kulturbeziehungen aufzeigte, waren die Medien in Europa der Schwerpunkt des zweiten Bands. Die dritte Ausgabe beschäftigt sich nun mit der Rolle der Literatur in Europa und mit dem europäischen Buchmarkt. Kann man eigentlich von einer europäischen Literatur sprechen, wenn mangels Übersetzungen nur wenige Literaten europaweit gelesen wird? Welche Rolle spielt die Literatur für die Identität Europas? Diese und andere Fragestellungen werden auf rund 200 Seiten spannend behandelt. 04 Nicht nur mit dem Kulturreport oder der seit 2005 erscheinenden Literaturreihe Kroki/Schritte (S. 59) überwindet die SpdZ erfolgreich Sprach- und Landesgrenzen, sondern auch mit einer Reihe von Stipendien wie dem GFPS-Programm (S. 39), dem Programm „Forschungsaufenthalte/Recherchereisen für Journalisten ins Ausland“ (seit 2010) oder den Künstlerstipendien für deutschsprachige Autoren, Literaturübersetzer und Literaturkritiker in der Villa Decius in Krakau (S. 53).

Seit der Osterweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 sind schätzungsweise zwei Millionen Polen in die alten EU-Staaten (vor allem Großbritannien, Irland und die Niederlande) emigriert. Seit Frühjahr 2011 gilt auch in Deutschland die vollständige Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus allen EU-Ländern in Osteuropa und erneut gehen Experten davon aus, dass bis zu einer halben Million junger Polen in Deutschland und Österreich arbeiten wollen. Auch deutsche Staatsbürger nutzen die Möglichkeiten des europäischen Arbeitsmarktes und verlagern ihren Lebensmittelpunkt nach Osten, auch wenn in etwas anderen Relationen, denn die Zahlen schwanken zwischen 100.000 bis 120.000 Deutschen. Dass dies auch mal anders war und sich gerade etliche Deutsche in Polen niederließen, davon erzählte die große Ausstellung „Polen aus freier Wahl. Deutschstämmige Familien in Warschau im 19. und 20. Jahrhundert“ (S. 62). Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Warschauer Haus der Begegnung mit der Geschichte (DSH) vorbereitet wurde, zeigte den Beitrag von deutschen Migranten zur Entwicklung der Architektur, Industrie, Wissenschaft und Kultur in der polnischen Hauptstadt. Zudem zeichnete sie den Prozess der allmählichen und freiwilligen Assimilierung der Familien nach, die sich nicht nur durch ihre tägliche Arbeit der Stadt gegenüber verdient gemacht haben, sondern auch solidarisch die polnischen nationalen Bestrebungen unterstützten – im Unabhängigkeitskampf während des Ersten Weltkrieges, während der deutschen Besatzung und des Warschauer Aufstandes 1944 im Zweiten Weltkrieg.

Von „Wahl-Warschauern“ bzw. DDR-Bürger auf der Flucht – erzählte eindrucksvoll der Dokumentarfilm „Tschüss DDR! Über Warschau in die Freiheit“, der im letzten Jahr auf vielen Vorführungen in Deutschland und Polen zu sehen war und welcher sich nach wie vor eines unerwarteten großen Interesses erfreut (siehe auch den Jahresbericht 2009 und S. 22). Es erfüllt uns mit großer Freude, dass es der Stiftung nicht nur gelungen ist, diesem wichtigen deutschpolnischen Kapitel ein kleines filmisches Denkmal zu setzen, sondern gemeinsam mit der Deutschen Botschaft Warschau auch im Herzen Warschaus eine gleichnamige Kunstinstallation zu errichten; Jahresbericht der SdpZ 2010 05 sie wurde prompt von der auflagenstärksten Tageszeitung Polens, der „Gazeta Wyborcza“, als eines der „interessantesten Denkmäler Warschaus“ tituliert. Das Herzstück der Kunstinstallation (S. 25), die am 6. Oktober 2010 feierlich enthüllt wurde, ist das Tor zum ehemaligen Botschaftsgelände in Saska Kępa, über das viele der rund 6.000 Flüchtlinge auf ihrem Weg in die Freiheit kletterten.

Rund 20 Jahre später ist materielle und immaterielle Freiheit in Deutschland und Polen eine Selbstverständlichkeit geworden und das schwierige nachbarschaftliche Verhältnis hat sich in eine kreative Partnerschaft gewandelt. Heute treten Berlin und Warschau immer häufiger auf (außen-) politischer und wirtschaftlicher Ebene als Partner auf. Dieser erfreulichen Entwicklung waren die 3. DeutschPolnischen Medientage gewidmet, die im Juni 2010 in Dresden unter dem Motto „Deutschland und Polen – Partner im Osten” stattfanden. Während der dreitägigen Veranstaltung ging es um die Beziehungen zwischen den Ländern der Europäischen Union, Russlands und den Anrainern im Osten. Über 300 Teilnehmer diskutierten in Dresden unter anderem, ob Deutschland und Polen in der Lage und willens sind, außenpolitisch durch gemeinsame Initiativen (u. a. Östliche Partnerschaft) eine Vorreiterrolle innerhalb der EU zu übernehmen. Dem Medienalltag an Oder und Neiße war während der Dresdner Medientage auch ein Panel mit dem Titel „Über die Grenzen hinweg – grenzüberschreitender Journalismus“ gewidmet. Denn den Alltag an der Grenze Polens und Deutschlands dokumentieren etliche Journalisten manchmal ohne das Bewusstsein, dass ihre Arbeit an der „Randzone“ einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Bild dieser Nachbarschaft in der jeweiligen Gesellschaft hat. Und so mag es nicht weiter verwundern, dass Experten nach wie vor eine deutliche Über- und/oder Unterrepräsentanz einiger Dauerthemen kritisieren. So kommt es, dass kulturelle Themen kaum vorkommen und die Journalisten eher über deutsch-polnische (Nachkriegs-) Geschichte oder Wirtschaft schreiben. Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit ist sich dieser thematischen Schieflage bewusst und präsentiert deswegen seit 2006 mit dem eigenen Internetprojekt „POINT. Das Deutsch-Polnische Portal“ (S. 10) „andere“ Themen aus Deutschland und Polen. Point beweist täglich auf Twitter, Facebook und www.portalpoint. info wie spannend, vielfältig und frisch der deutsch-polnische Dialog heute ist – und das bei einem wachsenden Zuspruch der Internetgemeinde.

Der Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, im Mai 2011