Jahresberichte
Jahresbericht 2005
Am 30. April 2005 wurde das Deutsch-Polnische Jahr im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Anwesenheit der Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und Horst Köhler und mit musikalischer Untermalung durch den weit über Polen hinaus bekannten Leszek Możdżer fulminant in Szene gesetzt und eröffnet. Acht Monate später hieß der polnische Präsident Lech Kaczyński, hatten die Regierungen an Spree und Weichsel gewechselt und kam Angela Merkel zu ihrem ersten Besuch als Kanzlerin nach Warschau. Im Dezember 2005 tagte in Warschau das Deutsch-Polnische Forum, das im April wegen der Feierlichkeiten anlässlich des Todes von Papst Johannes Paul II hatte verschoben werden müssen. Der neue Papst aus Deutschland eroberte die Herzen der Polen nicht zuletzt dadurch, dass er wie selbstverständlich und wie sein Vorgänger Polnisch in den Kreis der Sprachen erhob, in denen die päpstlichen Grußworte auf dem Petersplatz gesprochen werden. In 2005 wurde in mehreren Veranstaltungen dem 60. Jahrestag des Kriegsendes gedacht und legte Lech Kaczyński noch in seiner Funktion als Stadtpräsident Warschaus ein monumentales Werk von knapp 700 Seiten im Großformat vor, in dem das Ausmaß der von Warschau im Zweiten Weltkrieg erlittenen materiellen Verluste zusammengetragen ist. Eine unerwartete Karriere machte für kurze Zeit der polnische Klempner, allerdings vor allem in Frankreich, weniger in Deutschland. Ursprünglich Symbol der französischen Ängste vor billigen Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedsländern im Osten, wurde er schnell zur Projektionsfläche für die Hoffnung auf frischen Wind und mögliche Verlockungen im gar nicht fernen Osten. Plötzlich eröffneten sich ganz neue Interpretationsmöglichkeiten für Stanisław Jerzy Lecens berühmten Aphorismus „Ex oriente lux...”. Im grenznahen Küstrin, das leichter unter dem Namen Kostrzyn auf der Straßenkarte zu finden ist, versammelte sich im August traditionell die musikversessene Jugend zum polnischen Woodstock. 300.000 oder mehr sollen es gewesen sein, davon zum ersten Mal viele Jugendliche aus Deutschland. Mit dabei Rainer Langhans, Kommunarde aus längst vergangenen Tagen. Er konnte sich nicht genug darüber wundern, wie perfekt und gigantisch das polnische Woodstock war und dass in Deutschland nur die Insider im grenznahen Bereich von diesem Ereignis wissen. Nach Schätzung der Veranstalter gab es von diesen Insidern immerhin weit über 50.000. Was es an Geben und Nehmen, an Lehren und Lernen, an Ärgernis, Überraschung und Freude im deutsch-polnischen Grenzbereich und den grenznahen Gebieten täglich und über die Jahre verstärkt gibt, bildet die Basis der sich neu definierenden deutsch-polnischen Beziehungen des Mittelstandes und der bürgerlichen Konsumverflechtung. Nicht nur von Deutschland nach Polen reisen heute Patienten auf der Suche nach günstiger Behandlung, auch in umgekehrter Richtung gibt es Bewegung: Ärzte westlich der Grenze laden Patienten von östlich der Grenze in ihre Praxen. Laut EU-Vereinbarungen bezahlen es jeweils die heimischen Kassen. Während in manchen Köpfen noch das Bild vom rußverdreckten Schlesien festsitzt, schicken deutsche Bäcker ihre Angestellten nach Polen, damit sie lernen, wie man die Ökobrötchen so backt, dass einem die Kunden nicht über die Grenze nach Osten abwandern. In diesem hier grob skizzierten Kontext stellt sich das Bild des deutsch-polnischen Miteinanders 2005 als eine insgesamt positive Grundstimmung dar, bei der die Beziehungen zum Nachbarn immer stärker von den eigenen Erfahrungen und sachlichen Informationen bestimmt sind, und immer weniger vom Hörensagen und blindlings übernommenen Vorurteilen. Nur zwei grundsätzlich als kontrovers empfundene Themenblöcke bleiben unerledigt und quer zum Strome liegen: Die Ostsee-Pipeline und das Zentrum gegen Vertreibungen. Zur Lösung des ersten Problems wird getagt, der Lösung des zweiten wird man sich über das sog. Netzwerk „Erinnerung und Solidarität” nähern, das im Januar 2005 ins Leben gerufen wurde. Im Ansatz hilfreich und willkommen fehlt ihm allerdings in der praktischen Umsetzung die treibende Kraft. Hilfreicher hier sind vielleicht Schritte, die das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unternahm, als es am 2. Dezember 2005 in Bonn die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration” eröffnete und bei Experten und Besuchern dafür durchweg Lob erntete. Dies war im Berichtsjahr das Umfeld, in dem die Gremien der Stiftung, also der Rat und der Vorstand, auf ihren Sitzungen immer wieder die Grundzüge der Stiftungsarbeit diskutierten und verifizierten. Beides, die Zuwendungsbescheide des Vorstandes und die begleitende Diskussion im Rat, hat auch im Berichtsjahr wieder gezeigt, dass es möglich ist, dialogisch und einvernehmlich ein Unternehmen zu führen, das trotz aller Verwerfungen und Veränderungen auf der politischen Bühne, den deutsch-polnischen Dialog kontinuierlich betreut und vorantreibt.
Der Vorstand der SdpZ, Warschau, im April 2006
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